Judith Bernsteins Rede beim Frankfurter Verwaltungsgericht am 04.05.2023

Leider konnte Judith Bernstein krankheitsbedingt nicht persönlich an der mündlichen Verhandlung im Frankfurter Verwaltungsgericht teilnehmen, ließ aber folgenden Text von ihrer Tochter, Shelly Steinberg, vorlesen:

 Sehr geehrte Vorsitzende, sehr geehrte Damen und Herren,

aufgrund meiner Krebserkrankung ist es mir leider gesundheitlich nicht möglich, persönlich hier zu sein. Daher freut es mich umso mehr, dass ich - vertreten durch meinen Rechtsanwalt Ahmed Abed und meine Tochter Shelly Steinberg - dennoch die Möglichkeit habe, mich zu den Sachverhalten zu äußern.

Ich bin 1945 in Jerusalem geboren und aufgewachsen. Meine Eltern stammten aus Deutschland und waren 1935 vor dem Naziregime geflohen. Die Eltern und weitere Verwandte meiner Mutter wurden in Auschwitz ermordet; ähnlich erging es der Familie meines Vaters. Zwar waren meine Eltern nicht in der Lage, direkt über diese Greueltaten zu reden, aber eines war immer klar: Rassismus hatte bei uns zu Hause absolut keinen Platz. Und so war mir schon klein auf die Ungleichbehandlung von Juden und Palästinensern im damaligen Palästina unverständlich.
Betrachtet man meine Familiengeschichte, machen einen die Antisemitismusvorwürfe, die Herr Becker schon mehrfach öffentlich über mich geäußert hat, nur sprachlos. Mich in die Nähe des Mörders von Halle und desNS-Antisemitismus zu rücken, ist an Geschmacklosigkeit und fehlendem Anstand nicht zu überbieten.

Herr Becker verwendet den Antisemitismusvorwurf als Druckmittel, seine pro-israelische Agenda durchzusetzen und ihm unliebsame Personen aus dem öffentlichen Leben und Diskurs zu verbannen bzw. mundtot zu machen. Das hat er auch im Jahr 2019 versucht, als die Titania wegen der Drohung von Becker, der damals Bürgermeister von Frankfurt war, den Raum kündigte für die Veranstaltung „Meinungsfreiheit statt Zensur“, die genau das kritisieren wollte. Das ist Zensur statt Meinungsfreiheit par excellence. Die vielen Organisationen, die mich eingeladen haben wurden gleich mit beleidigt, zum Beispiel: attac, IPPNW, Club Voltaire.
Den Beweis für seine Anschuldigungen bleibt Herr Becker jedoch immer schuldig. Sein Vorgehen und seine Vorwürfe gegen mich haben dazu geführt, dass ich von Veranstaltungen ausgeladen wurde, Veranstaltungen wegen meiner geplanten Teilnahme gar nicht erst stattfinden konnten und weitere Veranstaltungen (sei es auch ohne mich) aus Angst der Veranstalter vor der Streichung öffentlicher Gelder gar nicht erst umgesetzt wurden.

Für Herrn Becker spielt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit scheinbar keine Rolle – er war maßgeblich daran beteiligt, dass mein Recht auf freie Meinungsäußerung ausgesetzt wurde. Meinungsfreiheit bedeutet aber nicht nur, dass jeder Einzelne frei seine Meinung äußern darf und v.a. die Möglichkeit dazu hat; Meinungsfreiheit bedeutet darüber hinaus auch, dass jeder das Recht hat, sich in erster Linie eine Meinung bilden zu können. Dieses Rechts beraubt Herr Becker die Gesellschaft, indem er unter Androhung von Konsequenzen aus seinem Amt heraus eine Zensur des öffentlichen Diskurses bezüglich der politischen Situation in Israel vornimmt.
Dass Herr Becker sich über sämtliche juristische Maßgaben, die seine Ämter mit sich bringen hinwegsetzt, zeigt auch ein Beispiel aus der Stadtverordnetenversammlung, in der über ein Verbot von Veranstaltungen mit Bezug auf BDS abgestimmt werden sollte. Dort hat Herr Becker auf Anfrage des Stadtverordneten Schulz von der FDP angegeben, er hätte sich vom Rechtsrat der Stadt beraten lassen, welcher die Verfassungskonformität seines geplanten Verbots bestätigt hätte. Eine solche Bestätigung lag der Stadtverordnetenversammlung jedoch nie vor. Was auch verwunderlich gewesen wäre, denn spätestens das Urteil vom Bundesverwaltungsgericht in Leizpig von Januar 2022 legt ganz klar die Verfassungswidrigkeit solcher Verbote dar. Öffentlichen Äußerungen Herrn Beckers zufolge hat er jedoch nicht vor, dieses Urteil zu respektieren, sondern treibt weiter seine verfassungswidrigen Maßnahmen gegen Kritiker der israelischen Politik voran.
Ein solches Vorgehen mag in der Lobbyarbeit Gang und Gebe sein – ist meiner Meinung nach jedoch nicht mit demokratischen, rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen Werten vereinbar und Herrn Beckers Ämtern unwürdig – innerhalb derer er auf die Verfassung geschworen hat.

Zum Allgemeinen Verständnis möchte ich noch kurz anmerken:
Es ist nichts Jüdisches daran,
-          ein ganzes Volk zu vertreiben
-          eine Flüchtlingsbevölkerung zu schaffen,
-          Palästinenser und Palästinenserinnen zu exekutieren,
-          Millionen von Menschen militärisch zu besetzen,
-          Häuser zu zerstören,
-          Bäume zu entwurzeln,
-          Journalisten gezielt zu ermorden,
-          Palästinenserinnen und Palästinenser willkürlich zu verhaften – darunter auch viele Kinder,
-          Allgemein Menschen ihrer Rechte und Würde zu berauben.
Daher kann Kritik an diesen Zuständen auch nicht als antisemitisch gewertet werden. Wie bereits erwähnt, bleiben Herr Becker und seine Mitstreiter jegliche Beweise zu ihren Behauptungen und Diffamierungen schuldig.

Vielmehr hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Dossier klar dargelegt, dass Kritik an der Politik Israels und somit auch die BDS- Bewegung nicht antisemitisch sind.

Auf welchen sachlichen und fachlichen Grundlagen basiert Herr Becker eigentlich seine Anschuldigungen? Wissenschaftliche Belege liegen bis dato nicht vor.

Für Herrn Becker scheint Israel einen Kampf für das Judentum zu führen – ich als aus Israel stammende Jüdin verwehre mich jedoch vehement gegen eine solche Interpretation des Judentums wie Herr Becker sie in Deutschland propagiert. Herr Becker merkt dabei gar nicht, was für eine Verzerrung des Judentums er vornimmt und den Juden auf lange Sicht dabei schadet. Seine permanenten Forderungen nach Verboten ihm unliebsamer Veranstaltungen und Meinungsäußerungen fördern eher den Antisemitismus als dass sie ihn bekämpfen. Im Gegenteil: Auch der Kampf gegen Antisemitismus hat im Rahmen verfassungsrechtlicher Grundlagen stattzufinden.
Leider führt Herrn Beckers Vorgehen jedoch dazu, dass wirklicher Antisemitismus nicht mehr als solcher erkannt wird.
Herr Becker unterstellt, dass BDS sich nur gegen Israels Politik richten würde, weil es sich bei den Besatzern um Juden handeln würde. Jedoch ist genau das Gegenteil der Fall – uns ist es egal, WER die Besatzer sind. Vielmehr ist es doch Herr Becker, der bei Israel andere Massstäbe anwendet als anderen Ländern gegenüber. Vielmehr ist es doch Herr Becker, der ein eher problematisches Verhältnis zu und Verständnis von Juden hat. Ich frage mich: Sind denn aus seiner Sicht auch die vielen Israelis, die derzeit gegen die Politik ihrer Regierung auf die Straße gehen, alles Antisemiten? Möchte er am liebsten auch ihnen das Recht auf Meinungsäußerung verwehren?

Herr Becker und die Stadt Frankfurt haben eine immer noch öffentlich einsehbare Pressemitteilung an hunderte Journalisten rausgegeben, in der ich als judenfeindlich verleumdet werde und in die Nähe es antisemitischen Mörders von Halle und des NS-Antisemitismus gerückt werde. Ich als Jüdin, deren Familie in Ausschwitz umgebracht wurde, werde von einem deutschen Antisemitismusbeauftragten, der nie in seinem Leben Antisemitismus erlebt hat, am Sprechen gehindert. Wegen meiner geplanten Veranstaltungsteilnahme sollten derTitania öffentliche Zuschüsse gestrichen werden. Es ist doch geradezu absurd, zu behaupten, gegen Antisemitismus zu kämpfen, wenn man gleichzeitig Juden in Deutschland ihrer Grundrechte beraubt.

Es gibt für mich keine schlimmere Beleidigung und ich erwarte eine Entschuldigung von der Stadt Frankfurt!

Vielen Dank.