Amira Hass: "Keine innere Angelegenheit"

Nationaler (israelischer) Konsens ist es, dass das Schicksal der Palästinenser unter israelischer Herrschaft eine interne israelische Angelegenheit ist. Jede Einmischung von Nicht-Israelis in die Angelegenheit ist ungehörig, eine ausländische Einmischung.

Mitten in der Kontroverse um „Breaking the Silence“ diskutieren israelische Minister über einen Gesetzesentwurf, bei dem es darum geht, ob Soldaten wegen Verleumdung angeklagt werden können. Der Hauptpunkt in der Stellungnahme von Sami Peretz zu „Breaking the Silence“ („Zeit für Breaking the Silence, im Ausland zu schweigen", in „Haaretz“ 26.11.2017) lautet, dass die Unterdrückung der Palästinenser eine innere israelische Angelegenheit sei. Alle seine übrigen Behauptungen und Klagen über die mutige und unverzichtbare Organisation sind nur Ableitungen davon. Einschließlich des faktischen Irrtums darüber, was das Ziel von „Breaking the Silence“ ist. Entgegen dem, was er schrieb, haben sich Mitglieder der NGO seit Beginn an die israelische Öffentlichkeit gewandt und fahren, trotz aller Versuche, sie zum Schweigen zu bringen, damit fort, sich an sie zu richten oder es zu versuchen. Schließlich sind es ja Soldaten oder Reservisten in der israelischen Öffentlichkeit und nicht in der Schweizerischen Armee, bei denen zum Schluss der Groschen fallen wird, und sie realisieren, dass sie für die Sicherheit eines Raubunternehmens abkommandiert wurden. Ob so gemeint oder nicht, Peretz hat den Erfolg Israels kurz damit zusammengefasst, dass er unsere Herrschaft über Millionen ihrer Rechte beraubter Subjekte von einem internationalen Problem zu einer kommunalen Angelegenheit gemacht hat, ähnlich einem Minister der „Charedim“[1], der wegen der Instandhaltung der Eisenbahngleise „zurücktritt". Im Gegensatz zu einer Verletzung der Heiligkeit des Shabbat kann organisierter israelischer Sadismus (kurz, die Besatzung) nicht Regierungen stürzen und wirft die Israelis nicht vor Schreck um. Die meisten Juden in Israel werden darin übereinstimmen, dass die lokale Authorität, genannt „Land Israel“, unter einem ernsthaften inneren Problem mit Namen „Palästinenser“ leidet. Wegen angeborener krimineller Eigenschaften haben sie Land an sich genommen, das Gott unserem Vater Abraham und jedem einzelnen von uns, den Juden, persönlich gegeben hat. Wegen angeborener krimineller Eigenschaften haben sie ohne unsere Erlaubnis Hütten und Zelte und sogar Betonhäuser errichtet, die die Behörden zerstören müssen. Zum Beispiel Al-Araqib, Kalandia und Jibna.

Sie sprechen eine fremde, unverständliche Sprache, in der sie Komplotte gegen uns ausbrüten. Sie sind Eindringlinge und illegale Fremde. Sie lehnen es ab, sich nur in speziellen Vierteln aufzuhalte, die die lokale Behörde ihnen zuweist. Sie sind undankbare Kunden der israelischen Wasser- und Elektrizitätsunternehmen. Sie beschweren sich, dass Israel ihnen Wasser verkauft, das es ihnen stiehlt, und sie beschweren sich über Verbote, die ihre Wirtschaft untergraben. Und vor allem schikanieren sie ständig unsere Kinder – die Soldaten und Polizisten.

Also, das Schicksal der Palästinenser unter unserer Herrschaft ist eine innere israelische Angelegenheit (Prof. Menachem Klein von der Bar-Ilan Universität hat es auf diese Weise in einem privaten Gespräch gut ausgedrückt). Jede Einmischung von Nicht-Israelis in das Schicksal der Palästinenser ist ungehörig, eine ausländische Einmischung. Deshalb ist jeder, der ihnen Informationen gibt, ein Verräter. Verräter informieren, wie wir wissen, gegen Geld, deshalb hassen wir sie. Spenden vom Ausland sind nur legitim, die meisten von uns sind dieser Meinung, wenn sie unsere Kriegsindustrie weiterbringen, Führer der rechten Parteien und Knesset-Mitglieder hätscheln oder für die Zerstörung öffentlicher Sozialleistungen ein wenig entschädigen.

Die Aktivitäten von „Breaking the Silence“ auf die Frage nach der Aufbringung ihrer finanziellen Mittel zu reduzieren, spricht nicht nur zum Herzen von „Im Tirtzu[2]“ und [Justizministerin] Ayelet Shaked, sondern auch zu den Herzen vieler anderer israelischer Juden. Am Ende ist es nicht nur eine kommunale Angelegenheit, es ist eine provinzielle.  Die Bewohner des Shtetls wetteifern um die Großzügigkeit des reichen Onkels[3]. Nein – die Sache mit der ausländischen Finanzierung ist eine Ausrede, ein Haken, an den die kollektive Angst Israels aufgehängt wird. Israelische Gruppen, die sich gegen die Besatzung stellen, tun zwei unverzeihliche Dinge: Ihre Arbeit in Israel und im Ausland gefährdet die Profite der israelischen Juden  aus der Immobiliengoldgrube und dem Waffenhandel, die wir dank unserer Herrschaft über die Palästinenser erwirtschaften, [und zwar] mit offenen Armen, die israelische Geschäftsleute, Akademiker und Atlethen begrüßen. Wenn sich diese Gruppen an die internationale Gemeinschaft, auch an die Juden dort wenden, bestehen sie darauf, daran zu erinnern, dass unsere Fremdherrschaft über die Palästinenser anormal ist, ein internationales Problem, und dass sich die Welt selbst blamiert, wenn sie Israel die Palästinenser unterdrücken lässt, wie es ihm gefällt.

Diese NGOs sind die ersten, die der internationalen Gemeinschaft applaudieren werden, wenn sie, anstatt zu spenden, die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nutzt – das Völkerrecht und die Angst vor einem globalen Krieg – , um Israel und seine jüdischen Staatsbürger zu zwingen einzuhalten, nachzudenken und sich zu ändern.

Quelle: https://www.haaretz.com/opinion/.premium-1.825348

 Übersetzung: K. Nebauer

 

 

[1]   Deut. 6,2: „… damit du den Herrn, deinen Gott, fürchtest alle Tage deines Lebens und alle Seine Bestimmungen und Gebote hältst, die Ich dir heute anbefehle…“ Gemeint sind die (ultra-)orthodoxen Juden.  

[2]   „Wenn ihr wollt“. Die rechtsnationalistische Gruppe hat sich die Aufforderung Theodor Herzls in seinem Appell „Der Judenstaat“ von 1897 zu eigen gemacht. 

[3]   Hass spielt damit auf die „Chalukka“ („Verteilung“) an, ein System der finanziellen Zuwendungen für Juden in Palästina aus der Diaspora. Im 19. Jahrhundert kamen sie besonders von den Rothschilds in Paris. Die zionistische Führung kritisierte diese Abhängigkeiten scharf und setzte an ihre Stelle den Aufbau des Landes aus eigener Kraft. Der „Apostel des Zionismus“ Shmaryahu Levin (1867 – 1935) bezeichnete die Vertreter der „Chalukka“ als die „erbittertsten und aktivsten unserer Feinde“, weil sie Palästina zu einem „Siechenhaus“ gemacht hätten.