Offener Brief an Herrn Uwe Becker (Frankfurt) in seiner Funktion als Frankfurter Bürgermeister und Hessischer Antisemitismus-Beauftragter

Frankfurter Bürgerinnen und Bürger:

Elisabeth Abendroth, Renata Berlin, Herbert Kramm-Abendroth,

Renate Schnur-Herrmann, Helmut Suttor, Prof. Dorothee Roer, Dr. Ingo Roer

 

Offener Brief

an Herrn Uwe Becker (Frankfurt) in seiner Funktion als

Frankfurter Bürgermeister

und

Hessischer Antisemitismus-Beauftragter

 

Dezernat II - Finanzen, Beteiligungen und Kirchen

Römerberg 23

60311 Frankfurt am Main

E-Mail

DezernatII@stadt-frankfurt.de

 

Ihre Antisemitismus-Vorwürfe im Zusammenhang mit der Veranstaltung "Meinungsfreiheit statt Zensur" am 15.10.2019 im Titania-Theater in Frankfurt Bockenheim

 

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Becker,

wir haben an der o.g. Veranstaltung teilgenommen, die Sie schon vorab am 11.10.2019  als "Sympathisanten-Treffen antisemitischer Israelhasser" diffamiert haben. Sie nahmen an der Veranstaltung nicht teil. Insofern Sie die Vorwürfe danach  wiederholten, stützten Sie sich auf Mitteilungen des Stadtverordneten Kliehm (DIE LINKE), die dieser per Tweet während der Veranstaltung absetzte bzw. danach in den Medien verbreitete.

Wir haben zu dieser Veranstaltung ein Wortprotokoll erstellt (siehe Anhang). Dieses enthält alle Beiträge, mit Ausnahme der ersten 20 Minuten des Beitrags von Hartmut Bäumer. Da sich Ihre Vorwürfe, soweit sie Podiumsteilnehmer betrafen, ausschließlich gegen die Personen Judith Bernstein und Khalid Hamad richteten, ist das Wortprotokoll für die hier relevanten Fragen vollständig. Ein Link zu den Tonaufzeichnungen ist beigefügt. Der schriftliche Text kann also jederzeit überprüft werden.

Wir bitten Sie, gestützt auf diesen Text, Ihre Vorwürfe zu belegen. Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, müssen wir Sie auffordern die Vorwürfe zurück zu nehmen. Unabhängig davon erwarten wir eine Entschuldigung für Ihre Beleidigungen und Diffamierungen.

In diesem Zusammenhang möchten wir daran erinnern, was nach der IHRA-Arbeitsdefinition für Antisemitismus[1]  als Voraussetzung für ein belastbares Urteil zu Antisemitismus formuliert wurde: Es muss eine konkrete, des Antisemitismus verdächtige Aussage vorliegen. Dazu werden eine Reihe beispielhafter Aussagen aufgeführt, die sodann unter Berücksichtigung des jeweiligen Gesamtkontexts zu interpretieren sind.  Die formuliert IHRA-Definition formuliert im Grunde eine Banalität, die in einem von Vernunft und Respekt geleiteten öffentlichen Diskurs in einer Demokratie eine bare Selbstverständlichkeit sein sollte. Populisten und Demagogen, die einer postfaktischen Kultur huldigen, mögen das anders sehen.

Der Frankfurter BDS-Beschluss stützt sich, wie alle Antisemitismus-Beschlüsse mit BDS-Fokussierung , auf die IHRA-Definition. Es geht also um eine Begründung nach Regeln, die sich von selbst verstehen und die Sie mit der Zustimmung zur IHRA-Definition noch einmal bekräftigt haben.

Ihre Urteile zur Titania-Veranstaltung, es habe dort eine Dämonisierung bzw. Delegitimierung Israels stattgefunden, Israel sei als Apartheids-Staat diffamiert  worden usw. können allenfalls als Behauptungen über solche Äußerungen  antisemitischen Inhalts gewertet werden. Eine konkrete Äußerung, wie das die IHRA-Definition fordert, haben weder Sie noch Herr Kliehm auch nur einziges Mal angeführt.  Derartige Behauptungen sind nicht kontextualisierungsfähig. Keines der beiden Elemente der IHRA-Definition ist darin erfüllt.

 Sie haben sich unzweifelhaft als Amts- und Hoheitsträger geäußert.  Das gilt für Ihre Antwort auf die Anfrage des Stadtverordneten Kirchner [2] ebenso, wie für Ihre (inzwischen gelöschte) Erklärung auf der Internetseite der Stadt Frankfurt (Sympathisanten-Treffen antisemitischer Israelhasser).  In dieser Funktion gilt für Sie nicht die Meinungsfreiheit, wie für einfache Bürger. So wie Sie sich in der Öffentlichkeit als Amtsträger äußern, muss man vermuten, dass Ihnen die Rechtsprechung zur Äußerungsbefugnis vom Amts- und Hoheitsträgern[3] nicht geläufig ist - nach dreizehn Jahren als Dezernent und Stadtkämmerer in einer deutschen Großstadt. 

Sie äußern sich zu völkerrechtlichen wie der Fragen zur ethnischen Säuberung in Nahost ,[4]  kennen aber offensichtlich den Rechtsrahmen nicht, der für eine gesetzeskonforme  Ausführung Ihrer Ämter grundlegend ist.

Auch für Sie gelten bestimmte Grundsätze wenn Sie sich in amtlicher Funktion öffentlich äußern, beispielsweise das Sachlichkeitsprinzip, das vom Bundesverwaltungsgericht u.a. so definiert wird, dass amtliche Äußerungen "nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen dürfen, d.h. bei verständiger Beurteilung auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssen, und zudem den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten dürfen". [5]

Sie äußerten über Frau Bernstein am 7.11.2019  auf die Frage des StV Kirchner in der StVV, sie würde  "in Deutschland Land auf und Land ab touren und nichts anderes machen, als israelbezogenen Antisemitismus verbreiten" [6]

Sie waren nach der Titania-Veranstaltung noch nicht einmal in der Lage zu sagen, was Frau Bernstein in Frankfurt gesagt hat. Woher wollen Sie wissen, was sie in Deutschland verbreitet? Ihre Äußerung ist nicht nur für jeden erwachsenen Menschen als offensichtlich unwahre Behauptung erkennbar, sie ist  darüber hinaus nichts anderes als primitive Hetze gegen ein Deutsche jüdischer Herkunft, die Angehörige im Holocaust verloren hat. [7]

So wie Sie sich hier und überhaupt in diesem Kontext äußerten, konnten Sie gar nicht in die Verlegenheit kommen, einen Tatsachenkern "sachgerecht und vertretbar" würdigen zu müssen, weil Sie, wenn es um Antisemitismus geht, weitgehend ohne Tatsachenkern auskommen.

Im Streitgespräch mit Micha Brumlik am 5.12.2019 im Club Voltaire[8] äußerten Sie "Ich habe an keiner Stelle gesagt, dass Frau Bernstein antisemitisch ist". Sie haben Frau Bernstein als Antisemitin beschrieben ohne sie explizit als solche zu bezeichnen. Sie geben vor die AFD zu bekämpfen, machen aber von deren Methode der diffamierender Insinuationen Gebrauch.

In seiner Analyse zu "Methoden und Strategien" am "Rechten Rand" beschreibt der Politikwissenschaftler Thomas Meyer das Stilmittel der Insinuation so:

„Insinuation wird gehandhabt als die starke und letztendlich eindeutige Andeutung des Gemeinten, die nichts offen läßt, ohne aber das Gemeinte zitierbar eindeutig zu sagen. Die Methode der Insinuation beruht auf dem Prinzip, etwas in der Sache zu behaupten, ohne es in der Form beweiskräftig behauptet zu haben. Die Eingeweihten wissen, was gesagt werden soll. Gegen jeden Außenstehenden kann das Gemeinte mit Verweis auf den nackten Wortlaut, wo es angebracht erscheint, bestritten werden.“ [9]

Sie haben die Betreiber des Club Voltaire aufgefordert zur Einsicht zu kommen und sich zu entschuldigen, es sei eine Rote Linie überschritten worden. Wir geben Ihnen hiermit die Gelegenheit, dies zu begründen - faktenbasiert.  Sie haben diese Aufforderung an den Club Voltaire nämlich zu keinem Zeitpunkt mit geeigneten, allgemein akzeptierten Argumenten begründet und durch Fakten belegt.

Ihrer Antwort sehen wir mit Interesse entgegen.

Mit freundlichen Grüßen

Helmut Suttor - auch im Namen der genannten Frankfurter Bürgerinnen und Bürger

Laubestr 6

60594 Frankfurt

[1] https://www.holocaustremembrance.com/working-definition-antisemitism

[2] Frage/Antwort Kirchner/Becker https://www.stvv.frankfurt.de/PARLISLINK/DDW?JAHR=2010&JAHR_O=gr%F6%DFer+gleich&DATUM=31.12.2019&DATUM_O=kleiner+gleich&TEXT=BDS&TEXT_O=beinhaltet+%28ungef%26%2365533%3Bhr%29&FORM_C=und&DOKUMENTTYP=WORT&FORMFL_OB=DATUM&FORM_SO=Absteigend&?2?1?#BWHR2

[3] https://www.bundestag.de/resource/blob/556768/776c7bb3e6cd1fd9ed85e539cca79b59/wd-3-074-18-pdf-data.pdf

[4] https://www.journal-frankfurt.de/journal_news/Politik-10/Uwe-Becker-kritisiert-Amnesty-International-Meron-Mendel-Beckers-Reaktion-ist-ueberzogen-33493.html

[5]  https://www.bverwg.de/111110B7B54.10.0

[6] Frage / s. FN 2

[7] https://www.jrbernstein.de/blog-1/2020/1/28/im-gedenken-an-meine-groeltern

[8] Becker im Streitgespräch mit Micha Brumlik am 5.12.2019 im Club Voltaire, https://www.youtube.com/watch?v=tB7iW27vuew&feature=youtu.be, Minute 35 ff

[9] Vgl. Thomas Meyer, Methoden und Strategien. Insinuation als Stilmittel, in: Friedrich-Ebert-Stiftung /Akademie der Politischen Bildung (Hrsg.), Am rechten Rand, Analysen und Informationen für die politische Bildung, Bonn 1995, S. 18.

 

Antrag auf Akteneinsicht zum Thema: Rechtliche Umsetzung des BDS-Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung vom 28.9.2017

Frankfurter Bürgerinnen und Bürger:

Elisabeth Abendroth, Renata Berlin, Herbert Kramm-Abendroth,

Renate Schnur-Herrmann, Helmut Suttor, Prof. Dorothee Roer, Dr. Ingo Roer

 

Dezernat II - Finanzen, Beteiligungen und Kirchen

Römerberg 23

60311 Frankfurt am Main

Telefon +49 69 212 33104

Fax +49 69 212 30707

E-Mail

DezernatII@stadt-frankfurt.de

 

Antrag auf Akteneinsicht zum Thema:

Rechtliche Umsetzung des BDS-Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung vom 28.9.2017

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

wir beantragen hiermit Akteneinsicht zu rechtlichen Stellungnahmen des Rechtsamts der Stadt Frankfurt, ggf. auch anderer städtischer Ämter bzw. externer Berater zum BDS-Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 28.9.2017

 

Antisemitismus keinen Raum geben - BDS aktiv entgegentreten.

 

Begründung:

 

Der Beschluss wurde nach Debatte in der StVV am 28.9.2019 gefasst  mit der "Maßgabe (...) dass der Magistrat der Stadt Frankfurt am Main prüft und berichtet, ob und wie die Inhalte der Vorlage umzusetzen sein könnten, und berichtet, wie die Umsetzung der unter Ziffern eins bis vier genannten Maßnahmen im jeweiligen Berichtszeitraum erfolgt ist."[1]

 

Die Maßgabe zur Umsetzung beinhaltet einen organisatorischen und rechtlichen Aspekt. Zur organisatorischen Umsetzung liegt ein Bericht des Magistrats vom 5.3.2018 vor.[2] Ein Bericht zur Klärung der offenen rechtlichen Fragen fehlt. Dies, obwohl der Klärungsbedarf zu offenen Rechtsfragen von verschiedenen StV in der Debatte angemahnt wurde.

Im zeitlicher Nähe zur Beschlussfassung versicherte Bürgermeister Uwe Becker lt. Frankfurter Rundschau vom 29.9.2019,[3] der Beschluss sei „vom Rechtsamt der Stadt abgeklärt worden“ und deshalb „rechtlich und handwerklich in Ordnung“.

Der gesamte Sachverhalt legt nahe, dass es zum Zeitpunkt der Abstimmung allenfalls eine auf das Rechtsamt gestützte Zusicherung Uwe Beckers an die StV gegeben hat, die offenen Fragen seien geklärt. Eine für die Öffentlichkeit oder auch nur für die StVV nachvollziehbare Klärung hatte offensichtlich nicht stattgefunden.

Aus den Reihen der StVV ist die Anfrage von Dr. Uwe Schulz (FDP)[4]

Anfrage der FDP-Fraktion:

Rechtliche Umsetzung des BDS-Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung

nach über zwei Jahren die erste Initiative mit dem Ziel den Magistrat zu veranlassen, sich zur Klärung offener Rechtsfragen zu äußern. Niemand sonst hat hier nachgehakt, auch jene StV nicht, die in der Debatte Klärungsbedarf anmahnten.

Desgleichen haben Medien weder nach der Einlösung des rechtlichen Aspekts der Maßgabe der Frankfurter StVV gefragt, noch die rechtlichen Probleme der BDS-Beschlüsse in Frankfurt und Deutschland thematisiert.   

Angesichts der offensichtlichen (Grund)gesetzwidrigkeit des BDS-Beschlusses steht im Hinblick auf die oben zitierte Aussage des Herrn Becker der Verdacht im Raum, dass er entweder nicht die Wahrheit gesagt hat oder, dass vom Rechtsamt ein Gefälligkeitsgutachten erstellt wurde, das der Öffentlichkeit vorenthalten werden soll.

Die übliche Dreimonatsfrist zur Beantwortung der Fragen von Dr. Schulz ist am 5.3.2020 abgelaufen. Der Magistrat / Uwe Becker haben um eine Verlängerung gebeten. Warum eigentlich, wenn das städtische Rechtsamt die offenen Rechtsfragen schon im September 2017 abklärte und den Beschluss als  rechtlich und handwerklich in Ordnung befand?

Die hier relevanten verfassungsrechtlichen Fragen sind in der Rechtsprechung geklärt. Dies wird nicht zuletzt durch Verwaltungsgerichtsurteile zu Raumverboten mit BDS-Bezug (s. Anhang 1) bestätigt.

Diese Urteile besagen u.a. dreierlei:

Þ     Die BDS-Beschlüsse sind politische Resolutionen oder Willenserklärungen aber keine Gesetze und deswegen vor deutschen Gerichten nicht entscheidungsrelevant, sie dürfen deswegen rechtlich auch nicht handlungsrelevant für Kommunalverwaltungen sein (vgl. Frage 3 / Anfrage Schulz - VG Köln S.5);

Þ     BDS als zivilgesellschaftliche Bewegung ist organisatorisch zu heterogen, als dass pauschal aus Unterstützung oder Mitgliedschaft rechtlich relevante Schlussfolgerungen bezogen auf einzelne Personen oder Gruppen ableiten könnte - insofern wird implizit Einzelfallprüfung angemahnt (OVG Lüneburg Rn 8);

Þ     nach den allgemeinen Beweisregeln haben die Städte den Beweis zu führen, dass Antisemitismus vorliegt (vgl. Frage 6 / Anfrage Schulz - OVG Lüneburg Rn 7).  

Die bisher bekannte Verwaltungspraxis in Frankfurt, wie sie durch den Magistrat unter Federführung von Bürgermeister Becker gehandhabt wird, widerspricht allen drei genannten Punkten.

BDS-Beschlüsse auf kommunaler Ebene sind Verwaltungsakte in der Form einer generellen Widmungsbeschränkung[5] mit dem Ziel BDS-Mitglieder oder Unterstützer von der städtischen Raumvermietung auszuschließen. Als Verwaltungsakte gehören sie zur Kategorie der Eingriffsverwaltung, weil sie in Grundrechte eingreifen.

Der Frankfurter BDS-Beschluss, wie diese Beschlüsse ganz allgemein, beinhalten folgende (Grund)rechtskonflikte:

Þ     Auf kommunaler Ebene handelt es sich bei diesen Beschlüssen um Verwaltungsakte der Kategorie "Eingriffsverwaltung", d.h. sie greifen in Grundrechte ein.[6] Dafür ist die Gesetzesform vorgeschrieben. In der Frankfurter Verwaltungspraxis besteht, wie andernorts auch,  dennoch die Tendenz den Beschluss wie ein Gesetz zu behandeln.

Þ     Meinungsfreiheit Art. 5 GG und der Gleichheitsgrundsatz Art. 3 GG: Nach dem Recht sind alle Personen und Gruppen der jeweiligen Kommune gleich zu behandeln, solange sie sich nicht in Widerspruch zur Freiheitlich Demokratische Grundordnung stellen. Die Beweislast hat jeweils die Kommune.

Þ     Die BDS-Beschlüsse stellen eine massive Verletzung des sog. Demokratiegebots dar. Dieses wird abgeleitet aus Art 20 Abs. 2 GG (Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus). Es besagt, dass der Staat und staatliche Amtsträger in amtlich-staatlicher Funktion nicht regelnd und lenkend in die Willensbildung der Gesellschaft eingreifen dürfen. Die Willensbildung "von unten nach oben" muss gewährleistet und frei von staatlicher Einmischung bleiben. Die BDS-Beschlüsse sind das gerade Gegenteil. Sie laufen auf eine Umkehrung des Demokratiegebots hinaus. Nicht nur in Frankfurt greifen Stadtverwaltungen einseitig,  "von oben nach unten", regelnd und lenkend in die örtlichen Antisemitismus- und Nahostdebatten ein. Nicht erst ein Raumverbot ist ein solcher Eingriff. Schon die BDS-Beschlüsse als öffentliche Erklärung widersprechen dem Demokratiegebot als staatlicher Eingriff in eine Debatte, die auf beiden Seiten von Bürger*innen mit und ohne jüdischen Hintergrund bestritten wird.

Þ     Insbesondere für Frankfurt gilt: Bürgermeister und Antisemitismus-Beauftragter Becker verletzt fortgesetzt die Rechtsgrundsätze,  die für die Äußerungsbefugnis für Amts- und Hoheitsträger definiert sind. Er hält sich noch nicht einmal an die Regeln, die mit den BDS-Beschlüssen festgelegt wurden. Diesen liegt die IHRA-Arbeitsdefinition für Antisemitismus zu Grunde, wonach Antisemitismus-Vorwürfe zu begründen sind, durch konkrete Aussagen und deren Kontextualisierung.

Zusammenfassend ist festzustellen:

Zum BDS-Beschluss Frankfurt haben alle demokratischen Kontrollinstanzen in Stadt-Parlament, Parteien und Medien-Öffentlichkeit versagt. Die StVV stellte keine Fragen, obwohl die Kollision des Beschluss mit einer ganzen Reihe von Grundrechten auf der Hand lag. Die Medien zeigten ebenso wenig ein auch nur elementares Problem- und Grundrechtsbewusstsein.

Deswegen fordern wir als Bürger Akteneinsicht. Abgesehen von unserem persönlichen Interesse an rechtsstaatlichen Verhältnissen in unserer Stadt besteht daran vor dem Hintergrund der geschilderten Sachverhalte ein massives öffentliches Interesse.

Mit freundlichen Grüßen

Helmut Suttor - auch im Namen der genannten Frankfurter Bürgerinnen und Bürger

Laubestr 6

60594 Frankfurt

 

 

Anhang 1:

Verwaltungsgerichtsurteile mit BDS-Bezug

1.      BDS-Gruppe Oldenburg vs. Stadt Oldenburg:

a.       VG Oldenburg (Oldenburg) 3. Kammer, Urteil vom 27.09.2018, 3 A 3012/16,

http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE190000178&psml=bsndprod.psml&max=true

b.       OVG Lüneburg 10. Senat, Beschluss vom 27.03.2019, 10 ME 48/19, http://www.dbovg.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml;jsessionid=87F376A6DAAE102C3165B88164382015.jp12?doc.id=MWRE190001146&st=null&doctyp=juris-r&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint

2.       Palästinensische Gemeinde Deutschland vs. Stadt Bonn:

VerwaItungsgericht Köln BeschIuss 14 L 1747/19

 

 


[1] W o r t p r o t o k o l l  über die 17. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag, dem 28. September 2017 (16.01 Uhr bis 23.50 Uhr) https://www.stvv.frankfurt.de/PARLISLINK/DDW?TEXT=BDS&TEXT_O=beinhaltet%20(und)&DATUM_2=01.01.2017&DATUM_BIS_O=kleiner+gleich&DATUM=31.12.2017&DATUM_O=gr%F6%DFer+gleich&DOKUMENTTYP=TAGO%27,%27NIED%27,%27FRAG%27,%27WORT%27,%27BESC%27,%27VORL&FORMFL_OB=DATUM&FORM_SO=Absteigend&?12?5?

[2] Bericht des Magistrats vom 05.03.2018, B 68 https://www.stvv.frankfurt.de/PARLISLINK/DDW?TEXT=BDS&TEXT_O=beinhaltet%20(und)&DATUM_2=01.01.2017&DATUM_BIS_O=kleiner+gleich&DATUM=31.12.2018&DATUM_O=gr%F6%DFer+gleich&DOKUMENTTYP=TAGO%27,%27NIED%27,%27FRAG%27,%27WORT%27,%27BESC%27,%27VORL&FORMFL_OB=DATUM&FORM_SO=Absteigend&?19?5?

[3] https://www.fr.de/frankfurt/spd-org26325/frankfurt-schwaecht-aktion-gegen-11030455.html

[4] https://www.stvv.frankfurt.de/download/A_602_2019.pdf

[5] Eine Widmung definiert den Nutzungsrahmen einer Einrichtung, sie ist i.d.R. der Satzung zu entnehmen.

[6] https://iurratio.de/journal/staatsorganisationsrecht-das-rechtsstaatsprinzip/

Die Lehre aus der Geschichte kann doch nicht sein, dass Auschwitz als Freibrief für Menschenrechtsverletzungen herhalten soll, weder in Deutschland noch in Israel 

Leserbrief von Judith Bernstein zu „Jeder vierte Deutsche denkt antisemitisch“ in SZ 24.10.2019, S. 1: - V 14.11.19

Der Antisemitismus ist so alt wie Menschengedenken. Selbstverständlich muss man ihn – wie jede Form des Rassismus und Fremdenfeindlichkeit – bekämpfen. Wir müssen uns alle gegen die Angriffe auf Juden und andere Minderheiten wehren, denn sie bedrohen unsere Demokratie. 

Ich lebe seit 43 Jahren in Deutschland und habe persönlich nie Antisemitismus erfahren. Meine Mutter, die 1935 von Deutschland nach Palästina fliehen musste und deren Eltern in Auschwitz ermordet wurden, besuchte mich Ende der 1970er Jahre. Die vielen Zeitungsartikel, Radio- und Fernsehsendungen zum Thema Holocaust haben sie damals zu der Frage veranlasst: „Wann werden die jungen Deutschen von der Geschichte über den Holocaust genug haben?“. Heute frage auch ich mich, welche Lehren aus Auschwitz gezogen worden sind, wenn Juden, Muslime und Geflüchteten auf offener Straße angegriffen werden. 

Als mein Mann und ich vor mehr als zehn Jahren im Auswärtigen Amt Gespräche führten, wurden wir mit dem Satz empfangen, man mache sich große Sorgen um den wachsenden Antisemitismus, und zwar ausgehend von der israelischen Politik. Unsere Antwort darauf lautete: Sorgen Sie dafür, dass die Bundesregierung auch für die Rechte der Palästinenser eintritt. Mittlerweile ist es so weit gekommen, dass jede Kritik an der israelischen Politik in den Verdacht des Antisemitismus gerät. Damit wird der tatsächliche Antisemitismus verharmlost. Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses Ronald Lauder hat sich vor nicht allzu langer Zeit unter Berufung auf Gott (!) vor die israelischen Politik gestellt. 

Ist es Zufall, dass ich aufgrund meiner Kritik an der israelischen Regierung von interessierter jüdischer Seite und ihren nichtjüdischen Trabanten als selbsthassende Jüdin diffamiert werden soll mit dem Ergebnis, dass ich gemäß einem Münchner Stadtratsbeschluss nicht über meine Geburtsstadt Jerusalem in kommunalen Räumen berichten darf? 

Das Judentum ist so vielfältig wie jede andere Religion – warum wird das öffentlich nicht wahrgenommen? Warum wird nur von den Repräsentanten der Gemeinden berichtet, nicht aber von denen, die sich von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht unterscheiden? Sind die vielen vor allem jungen Israelis keine Juden, wenn sie ihrem Staat den Rücken kehren und sich in Berlin niederlassen? 

Es gibt kein Volk, das sich in der Politik, in den Medien, in Bildungseinrichtungen und in der Wissenschaft so ausführlich mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt hat wie das deutsche, und doch erleben wir, dass Antisemitismusbeauftragte als Alibi berufen werden. Die Lehre aus der Geschichte kann doch nicht sein, dass Auschwitz als Freibrief für Menschenrechtsverletzungen herhalten soll, weder in Deutschland noch in Israel.

Brief an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Beauftragte gegen Antisemitismus der Landesregierung Nordrhein-Westfalen

München, 28.09.2019

Sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger,

durch den Tod unseres Freundes Rainer Sobek ist unser gemeinsames Treffen leider nicht zustande gekommen. Deshalb will ich Ihnen schreiben.

Ich erinnere mich sehr gern an die ausgezeichnete Diskussion mit Ihnen und meinem Mann in der Politischen Akademie in Tutzing vor einigen Jahren. Auch ist mir unser Treffen beim damaligen deutschen Botschafter in Tel Aviv, Herrn Andreas Michaelis, in Erinnerung geblieben. Sie waren gerade von Gesprächen mit Ihrer Amtskollegin Tsipi Livni aus Jerusalem zurück. Als wir am nächsten Tag bei einer Führung in Ost-Jerusalem beisammen waren, zeigten Sie sich über das Gesehene so entsetzt, dass Sie mich beiseite nahmen und meinten, das alles dürfe nicht wahr sein.

Heute bekleiden Sie das Amt der Beauftragten gegen Antisemitismus der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Es ist gut und wichtig, dass Sie sich gegen Antisemitismus einsetzen. Auch wir tun es (ich würde mich als gebürtige Israelin ins eigene Fleisch schneiden, wenn ich es nicht täte). Allerdings treten mein Mann und ich gegen jede Form von Rassismus auf. So wichtig es ist, dass Angriffe auf Juden öffentlich verurteilt werden, gibt es eine zweite Gefahr: Angriffe gegen die größte Minderheit in Deutschland, die Muslime. Ich frage, wieso es keine Beauftragung gegen Islamophobie gibt.

Seit einiger Zeit wird hierzulande jede Kritik an der israelischen Politik als Antisemitismus diffamiert, vor allem seit dem Bundestagsbeschluss vom 17. Mai gegen BDS. Mein Mann ist genötigt, gegen einen Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes in Jerusalem juristisch vorzugehen, der ihn in seinem in Leipzig erschienenen Buch „Der neu-deutsche Antisemit“ beschuldigt hat, er würde tote Juden lieben, denn anders sei die von ihm und mir aufgebaute Bürgerinitiative Stolpersteine für München nicht zu erklären.

Durch die Veröffentlichung der beiden „Spiegel“-Artikel im Juli, das Interview mit Jürgen Trittin in der „taz“ und die nachfolgende Unruhe in der Bundestagsfraktion der Grünen wissen wir, wie diese Erklärung, der die Rechtsverbindlichkeit fehlt, zustande kam. Glaubt jemand, dass man den Antisemitismus dadurch bekämpfen kann, indem man die schändliche Politik der israelischen Regierung in den 1967 besetzten Gebieten ignoriert? Wir nehmen das ganz anderes wahr: Da sich die Bundesregierung regelmäßig nur „besorgt“ zeigt, schürt sie anti-jüdischen Ressentiments, die auch mich als Jüdin und meine Kinder treffen. Gestern sind wir informiert worden, dass ein „Aktionsforum Israel“ verkündet hat: „Das Paar Bernstein propagiert in Vorträgen Terror gegen Juden.“

Mich beschäftigt die Frage, für welches Israel wir alle eintreten – für das von Benjamin Netanyahu oder für das der israelischen Intellektuellen, die gegen den Bundestagsbeschluss protestiert haben? Als Juristin und frühere Bundesjustizministerin kennen Sie die Vorkehrungen in Artikel 3 und 5. Kann der öffentliche Einsatz für die Menschenrechte der Palästinenser antisemitisch sein?

Bei seinem Abschied aus Jerusalem hat Probst Wolfgang Schmidt gegenüber der FAZ erklärt, in Israel könne man Dinge sagen, die man in Deutschland nicht sagen dürfe. Es ist kein Zufall, dass Staatsleute wie Orbán, Kaczińsky und Bolsonaro zu den besten Freunden der israelischen Regierung gehören.

Was für ein öffentlicher Aufschrei wäre hierzulande zu Recht zu erwarten, wenn eine Vorlage wie jene des israelischen Nationalstaatsgesetzes vom Juli 2018 eingebracht würde, wonach Deutschland nur den deutschen Christen gehöre? Wie würde die deutsche Reaktion ausfallen, wenn sich in Berlin und in den Bundesländern Minister und Abgeordnete weigern würden, mit Juden zusammenzuarbeiten?

Meine Großeltern sind 1943 aus Erfurt deportiert und in Auschwitz getötet worden. Doch mit ihrer Ermordung lässt sich das Unrecht an den Palästinensern nicht heilen. Ein Freibrief für die israelische Politik darf der Holocaust nicht sein.

Auf Ihre Antwort freue ich mich.

Mit besten Grüßen

Judith Bernstein

Brief von Ernst Grube an den Caritasverband anläßlich der Kündigung des Mietvertrags mit der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München

Regensburg 30. September 2019 

An den Vorstand des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising e.V
 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

als ich am 12. September in Dachau in den Räumen der Caritas eine Anne Frank Ausstellung eröffnet habe, konnte ich mir nicht vorstellen, dass die Caritas als großer Sozialverband ohne genaue Befassung und Abwägung, lediglich auf "Verärgerung" und "Erstaunen" von Frau Knobloch reagieren und einen Mietvertrag mit der Jüdisch-Palästinensischen Dialog Gruppe fristlos kündigen würde. 

Eine Handlung im vorauseilenden Gehorsam, die, wie zu erwarten, vom Landgericht München I zurückgewiesen wurde. Begründung des Gerichts: es handele sich um Meinungsäußerungen, die nach Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt sind. Es lägen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass strafrechtlich relevante Äußerungen auf dieser Veranstaltung oder Störungen der öffentlichen Sicherheit erfolgen könnten. 

Entscheiden Sie in blindem Vertrauen auf umstrittene Beschlüsse der Stadt und einer Willensbekundung des Bundestags zu BDS? 

Für mich ist Ihre Argumentation für diesen Schritt nicht nachvollziehbar und glaubwürdig, denn Sie entziehen sich der Verantwortung genau zu prüfen, was Sie tun und was Sie damit bewirken. 

Es ist ein berechtigtes Anliegen, die Vorgänge beim Zustandekommen einer weitreichenden Bundestagsresolution zu betrachten, noch dazu, wenn es von jüdischen israelischen und deutschen Persönlichkeiten heftige gewichtige Kritik gibt. Zur Veranstaltung in dem bei Ihnen angemieteten Raum war ein Journalist eingeladen, der dazu recherchiert und bereits im Spiegel berichtet hatte. 

Wie umstritten dieser Beschluss, der BDS als antisemitisch bezeichnet, ist, möchte ich Ihnen durch Aussagen von einigen Persönlichkeiten verdeutlichen.

Der Künstler Dani Karavan und der ehemalige Knesset Präsident Avraham Burg haben am 17. Juni 2019 in der israelischen Tageszeitung Haaretz unter der Überschrift „Deutschland düpiert den Kampf gegen den Antisemitismus“ folgendermaßen Stellung bezogen: 

"Antisemitismus gibt es wirklich, und ihm sollte in Deutschland und an allen anderen Orten mit allen juristischen Mitteln entgegengetreten werden. Doch gibt es an BDS als solcher nichts Antisemitisches. Gewaltlose Volkskampagnen sind ein legitimes und angebrachtes Mittel, um Staaten dazu zu bewegen, mit schwerer Diskriminierung und arger Verletzung von Menschenrechtsverletzungen ins Gericht zu gehen.(...)“ Dani Karavan und Avraham Burg sehen darin eine “gefährliche Gleichsetzung“ und „fragen die deutsche Regierung: Glauben Sie wirklich, dass es eine Ähnlichkeit zwischen dem Boykott einer Flasche Wein, die in den besetzten Gebieten auf von Siedlern gestohlenem Land, (...) produziert wurde, und dem Boykott eines Geschäfts in Nazi-Deutschland gibt? 

Wer diesen Vergleich zieht, befleckt die Erinnerung an den Holocaust und untergräbt massiv die Balance der Verpflichtungen in Deutschlands Nachkriegszeit. Schlimmer noch: Die Entscheidung beschädigt den Kampf gegen den wahren Antisemitismus, der im europäischen Nationalismus seinen Ursprung hat und heute von Teilen der muslimischen Gemeinschaften in Europa kommt.“ 

Beide Autoren führen weiter aus, dass die Resolution des Bundestags den Kampf gegen den Antisemitismus mit der Unterstützung der israelischen nationalistischen Agenda vermischt. 

Und weiter heißt es " Die Resolution des Bundestages schränkt die Meinungsfreiheit ein, eine Säule jeder liberalen Demokratie ". 

Als Münchner Jude habe ich Entrechtung, Ausgrenzung und Verfolgung mit meiner Familie erlebt. Nach der Befreiung haben wir erfahren, dass alle unsere Verwandten mütterlicherseits - drei Schwestern der Mutter mit ihren Ehemännern und Kindern - ermordet worden waren. Seitdem beschäftigt mich dieses Menschheitsverbrechen und wie es zu seiner Durchführung kommen konnte. 

Es ist unsere zentrale Aufgabe Entwicklungen und Vorgängen entgegenzutreten, die sich gegen die Errungenschaften der Befreiung von Faschismus und Krieg richten, darunter antisemitische, rassistische, antidemokratische, das Asylrecht verstümmelnde und kriegsfördernde Maßnahmen. 

Nie wieder sollen Gewalt, Ausgrenzung, Diskriminierung, Menschenrechtsverletzungen, Verweigerung von Aufnahme von Menschen in Not hingenommen und beschwiegen werden. Die Bekräftigung der Menschenrechte nach der Barbarei gilt universell und ist zugleich überall konkrete Verpflichtung. 

„Der Einsatz für Menschenrechte ist nicht antisemitisch“. 

Unter dieser Überschrift haben 240 jüdische und israelische Wissenschaftler, darunter namhafte Holocaust Forscher, in ihrem Appell vom Juni 2019 Stellung bezogen zur BDS-Resolution im deutschen Bundestag: “In den letzten Jahren haben die israelische Regierung und ihre Unterstützer versucht, die Debatte über die systematische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung und die verheerenden Auswirkungen der seit 51 Jahren andauernden Besatzung zu unterbinden. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Israel und weltweit, die sich für Menschenrechte für Palästinenser einsetzen, werden von israelischen Offiziellen in zynischer Weise als Feinde des Staates, Verräter und zunehmend als Antisemiten abgestempelt. Für kritisches Engagement bleibt immer weniger Raum...“ 

Eindringlich warnen diese Wissenschaftler davor, dem „Israelischen Staat Immunität gegen Kritik an schwerwiegenden und verbreiteten Menschen- und Völkerrechtsverletzungen zu verschaffen – Kritik, die für legitim erachtet wird, wenn sie sich gegen andere Länder richtet.“ 

In ihrem Aufruf an die deutsche Zivilgesellschaft verlangen sie “ Antisemitismus unnachgiebig zu bekämpfen und dabei klar zu unterscheiden zwischen Kritik am Staat Israel, so hart sie auch ausfallen mag, und Antisemitismus. Wir fordern sie weiter dazu auf, die freie Meinungsäußerung jener zu gewährleisten, die sich gegen die israelische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung wenden und auf der Beendigung dieses Zustands bestehen.“ 

„Die Unterzeichner dieser Erklärung haben zu BDS unterschiedliche Meinungen: Einige mögen BDS unterstützen, andere lehnen es aus verschiedenen Gründen ab. Wir alle lehnen jedoch die trügerische Behauptung ab, dass die BDS-Bewegung als solche antisemitisch sei, und wir verteidigen das Recht jeder Person oder Organisation, sie zu unterstützen.“ 

Der Mitunterzeichner Prof.em. Dr. Micha Brumlik schreibt nach dem erzwungenen Rücktritt des Leiters des Jüdischen Museums Berlin, Peter Schäfer, wegen angeblicher Nähe zu BDS von einem weiteren Beispiel „für den Verfall liberaler Öffentlichkeit“(...). 

„Das Perfide des neuen, BDS-bezogenen McCarthyismus besteht zudem darin, dass er sich wegen des darin enthaltenen Antisemitismusvorwurfs kaum ausweisen muss und er zudem einen kaum widerlegbaren Vorwurf enthält: den der Kontaktschuld. In einem kulturellen Milieu mit hoher Kommunikationsdichte ist nämlich so gut wie niemand vor diesem Vorwurf gefeit;“ (Blätter für deutsche und internationale Politik 8/2019, Unter BDS-Verdacht: Der neue McCarthyismus. Brumlik war Professor am Institut für allgemeine Erziehungswissenschaft der Universität Frankfurt und Direktor des Fritz Bauer Instituts, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust. Seit 2013 ist er Senior Advisor am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin/Brandenburg in Berlin.) 

In der Münchner kommunalen Verwaltung wurde und werden nach diesem Muster zivilgesellschaftlichen Gruppen wie z.B. der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe oder der Künstlerin Nirit Sommerfeld Räume versagt. In Israel als Tochter von Überlebenden und Enkelin von Holocaust Opfern geboren, lebt Nirit Sommerfeld jetzt bei München. 

An der Künstlerin Nirit Sommerfeld, die im kommunalen Gasteig ein Konzert angekündigt hat, führt die Stadt München vorweg eine Gesinnungsprüfung durch, um vor dem am 5. Oktober 19 angekündigten Konzert ihren eigenen Antisemitismusverdacht auszuschließen. 

Dazu Nirit Sommerfeld: „Seit Jahren kämpfe ich mit künstlerischen Mitteln für ein gerechtes Israel und Menschenrechte für Palästinenser. Genügt das schon, um in den Verdacht des Antisemitismus zu geraten?? BDS ist nicht mein Thema in der Öffentlichkeit, was sich in all meinen zahlreichen öffentlichen Publikationen ersehen lässt — abgesehen davon, dass ich regelmäßig Israel und Palästina besuche. Meine persönliche Haltung zu BDS deckt sich mit der von 240 jüdischen und israelischen Wissenschaftlern...“ 

Es reicht der Verdacht, die Vermutung, es könnte im Rahmen solcher Veranstaltungen oder eines Konzerts auch über BDS gesprochen werden. 

Es erschüttert mich, wenn mittlerweile, angeschoben durch solche Beschlüsse zu BDS auf kommunaler und Bundesebene, unter dem Vorwand Antisemitismus zu bekämpfen, ein Klima der Denunziation und Verleumdung hergestellt wird, Grundrechte ausgehebelt werden, die dann durch die so beschädigten, diffamierten Menschen in aufwändigen und kostspieligen Schritten erstritten werden müssen. Wieviel Kraft bleibt ihnen dann noch für Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung, wenn sie immer wieder vor verschlossenen Türen stehen? Die einschüchternden und desorientierenden gesellschaftlichen Folgen für eine aufrichtige Bekämpfung des Antisemitismus führe ich hier nicht weiter aus. 

Judith Bernstein, eine Mitklägerin gegen Ihre fristlose Raumkündigung, wird zusammen mit ihrem Mann Reiner Bernstein mit einer Rufmordkampagne überzogen. Als mir am 7. November 2017 von der Stadt München der Georg Elser Preis verliehen wurde, habe ich mich bereits geäußert. 

„Als Mitstreiter von Judith und Reiner Bernstein begrüße ich, dass beiden der Preis „Aufrechter Gang“ von der Humanistischen Union München - Südbayern zugesprochen wurde. Beide erhalten den Preis für ihren Einsatz zur Verlegung von Stolpersteinen in München sowie ihren unermüdlichen Beitrag zur Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern. Dieser Preis darf nicht in städtischen Räumen entgegen genommen werden. Judith Bernstein ist in Jerusalem als Tochter deutscher Juden geboren, die vor der Nazi-Verfolgung nach Palästina auswanderten. Dr. Reiner Bernstein ist Historiker und Publizist; er hat sich in vielen Schriften mit der Situation im Nahen Osten auseinandergesetzt. Diese beiden Münchner Bürger sind meine Mitstreiter für eine gewaltfreie Lösung des Konflikts zwischen Israel und Palästina. (...) 

Es mag mühsam und unbequem sein. Verständigung, auch die Klärung von Mißverständlichem kommt nur über die respektvolle Auseinandersetzung, unter Einbeziehung der Rechte und Interessen aller zustande. Der Münchner Stadtrat sollte alles tun, um den Dialog für eine gerechte und friedliche Lösung des Nahost- Konfliktes auch in München zu fördern. 

Lebendige Demokratie verlangt, dass wir unseren Verstand und Realitätssinn einsetzen, die Wirklichkeit ergründen, um sie zum Besseren zu verändern.“ (Rede am 7. 11. 2017) 

Mittlerweile wurde die Rufmordkampagne gegen das Ehepaar Bernstein gesteigert. Besonders drastisch vom „Aktionsforum Israel“ mit dem unfassbaren Vorwurf: „Das Paar Bernstein propagiert in Vorträge(sic) Terror gegen Juden“. Das reiht sich ein in Behauptungen von Arye Sharuz Shalicar, die dieser in seinem Buch „Der neu-deutsche Antisemit“ (Leipzig 2018) macht. Reiner und Judith Bernstein würden sich für die „Bürgerinitiative Stolpersteine für München engagieren“, weil sie tote Juden lieben und in Israel Probleme mit lebenden Juden hätten. Shalicar hat sich in einem aktuellen Facebook Eintrag aus New York als Mitarbeiter des israelischen Außenministeriums gerühmt. 

Je älter ich werde, umso intensiver wird meine Erinnerung an erlebte Verfolgung, um so bedeutsamer sind mir die Errungenschaften der Befreiung, wie das Grundrecht auf freie Meinungsäusserung.

Die freie Debatte ist ein Grundrecht und unerläßlicher demokratischer Bestandteil gegen Rechtsentwicklungen, Verleumdungs- und Ausgrenzungsmechanismen. Dieses Grundrecht wirkt nur solange, wie es gelebt werden kann, wie es Räume gibt, in denen Menschen ihr Recht, sich mit wichtigen gesellschaftlichen Vorgängen auseinanderzusetzen, tatsächlich haben. 

Erst dadurch können sie zu wirklichkeitsnahen und wahrheitsgemäßen vollständigeren Bewertungen und Handlungen finden. 

Ich bin der Einladung, die Anne Frank Ausstellung zu eröffnen, gerne gefolgt. 

Auch deshalb, weil ich das Engagement Ihrer Mitarbeiten*innen punktuell kennengelernt habe, und weil ich gesellschaftspolitische Stellungnahmen des Caritasverbands z.B. zu Armut, Zuwanderung oder Asyl oft als wertvoll und bitter nötig gegen Verzerrungen und Falschinformation schätzen gelernt habe. 

Ich hoffe auf eine intensive Befassung mit dem von mir Dargelegten und, dass Ihre Türen für Aufklärung und Bestrebungen, die einen gerechten Frieden und Ausgleich zwischen Israel und dem palästinensischen Volk zum Ziel haben, offen sind. 

Ich erlaube mir, meine ausführliche Darlegung öffentlich zu machen. 

Gern bin ich zu einem persönlichen Gespräch bereit. 

Freundliche Grüße 

Ernst Grube 

Einleitung zur Diskussionsrunde, die aufgrund der Kündigung des Caritasverbandes am 23.09.2019 stattfand.

Judith Bernstein

Ich begrüße Sie im Namen der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe. Die meisten von Ihnen haben sicherlich mitbekommen, dass aufgrund der Intervention von Frau Knobloch der Caritasverband uns diesen Raum fristlos gekündigt hatte.

Mit Hilfe von RA Braun konnten wir eine einstweilige Verfügung erwirken, die es uns ermöglicht, die Diskussion doch in diesem Raum stattfinden zu lassen. Unser Referent Christoph Sydow vom „Spiegel“ hat fest zugesagt, zu einem anderen Termin seinen Vortrag zu halten. Der Druck von Frau Knobloch und die darauffolgende Absage bestätigen den Titel seines geplanten Vortrags:

„Die Rolle israelischer Lobbyorganisationen in der deutschen Politik". 

Wir sollten allerdings unser Treffen nutzen, um uns zu überlegen, wie wir in Zukunft diese Interventionen vermeiden können, um es nicht immer wieder zu einem Gang vor Gericht kommen zu lassen. 

Seit dem Bundestagsbeschluss vom 17. Mai werden Veranstaltungen und Unterstützer der BDS-Kampagne oder diejenigen, die sich mit BDS beschäftigen, als Antisemiten diffamiert. Doch BDS setzt sich für die Rechte der Palästinenser ein - was ist daran antisemitisch? 

Wir möchten heute Abend mit Ihnen diskutieren, wie wir z.B. dafür sorgen können, dass der Bundestagsbeschluss zurückgenommen wird, oder zumindest eine Erklärung verlangen, dass BDS von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Dazu habe ich zwei Vorschläge: 

Es kann nicht angehen, dass die Israelitische Kultusgemeinde für München und Oberbayern Veranstaltungen organisiert, in denen Kritiker der israelischen Politik diffamiert werden wie im Fall von Arye Sharuz Shalicar mit seinem Buch „Der neu-deutsche Antisemit“ oder eine einseitige und fehlerhafte Ausstellung wie die zur Gründung des Staates Israel gezeigt wird, und uns jede Auseinandersetzung mit der Politik Israels untersagt ist - wo ist hier die Gleichheit vor dem Gesetz? In Artikel 3 GG heißt es dazu: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Und weiter: „Niemand darf wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ 

Mein anderer Vorschlag ist, dass wir einen Herrn Rechtanwalt bitten, ein Schreiben in diesem Sinn an alle Fraktionen zu schicken. 

Zum Schluss möchte ich noch auf einen Gedanken aufmerksam machen, der mich sehr beunruhigt. Ich bin vor 50 Jahren nach Deutschland gekommen und merke, wie stark sich das Land verändert hat. Für mich ist die Diskussion um Palästina ein Teil des Rechtsrucks in Deutschland. Heute sind das Themen wie die Geflüchteten, Iran oder Palästina. Morgen können das die Obdachlosen und Behinderten sein, und übermorgen sind wir es. 


                                          

 



Plädoyer für eine neue Debatten-und Politikkultur

Reiner Bernstein

Nach den juristischen Erfolgen in Oldenburg, in Lüneburg und in Bonn hat das Landgericht München am 23. September dem Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen den Caritasverband der Erzdiözese München und Freising stattgegeben. Vorausgegangen war die fristlose Kündigung des Raumnutzungsvertrags für die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe (JPDG).

Der Caritasverband begründete seinen Rückzug mit der Anti-BDS-Erklärung des Bundestages vom 17. Mai, welche die Unterstützer der weltweit getragenen Initiative gegen die israelische Besatzung von 1967, für die Gleichstellung der arabischen Staatsbürger Israels sowie für das Recht der palästinensischen Flüchtlinge von 1948 in die Nähe des Antisemitismus rückte. Das Landgericht betonte ausdrücklich, dass die BDS-Kampagne durch Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt ist.

Anlass für die einstweilige Verfügung bildete das „Erstaunen und (die) Verärgerung“ der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch, den „Spiegel“-Redakteur Christoph Sydow über die Recherchen der Wochenzeitung zur israelischen Lobbyarbeit in Berlin berichten zu lassen. Da der Referent aufgrund der Kürze der Zeit seine Teilnahme absagen musste, aber der neuen Einladung schnell folgen will, konzentrierten sich die Diskussionen auf die zwei Fragen: Wie lange müssen Gerichte bemüht werden, um das Recht auf freie Meinungsäußerung im öffentlichen Raum zu gewährleisten, und wann werden unsere Politiker begreifen, dass die Behauptung, die Rechte der Palästinenser würden den Tatbestand des Antisemitismus erfüllen, von Grund auf absurd ist?

Während in Israel eine offene Debatte über die Politik der Regierung stattfinde, werde sie in Deutschland mit Diffamierungen belegt, betonten die promovierte Publizistin Ilana Hammerman und die in Düsseldorf lehrende Professorin Efrat Gal-Ed. Der deutsche Diskurs habe mit Israel nichts zu tun. Jüdische Israelis seien stolz auf ihre freie Presse, in der Bundesrepublik mache sich hingegen ein Klima breit, das vor dem Vorwurf des Antisemitismus zurückschrecke. Doch erfülle das Verbot für Israelis und Palästinensern aus der Friedensszene den Tatbestand des Antisemitismus, über das Für und Wider der Beziehungen zwischen beiden Völkern zu berichten?

Die über siebzig Teilnehmenden der Veranstaltung forderten die Bundesregierung und den Bundestag auf, endlich der eigenen Glaubwürdigkeit Rechnung zu tragen, indem sie einen politischen Kurswechsel gegenüber dem israelisch-palästinensischen Konflikt vornehmen. Den Medien wurde empfohlen, dem Leitsatz jener Ausgewogenheit zu folgen, den sie selbst hochzuhalten beanspruchen.

An der Sprache sollt ihr sie erkennen. Ist „political correctness“ angebracht, wenn auf Berichte und Kommentare über Siedler verzichtet wird, die tote Katzen in Brunnen werfen, um das Wasser zu verunreinigen, wenn sie palästinensische Bauern mit Knüppeln und entsicherter Pistole von ihren Feldern vertreiben oder wenn sie unter dem Vorwand der Notwehr ein Kind erschießen? Ja, schon die Sprache macht die Musik.

Kommentar von Fanny-Michaela Reisin zum Artikel der AZ vom 20.09.2019: "Vortrag von Antisemiten? Caritas kündig Verein fristlos"

Mein Kommentar: Unsäglich und unerträglich

"Unsäglich und unerträglich, dass eine Freundin Israels die undemokratischen Verhältnisse dort nicht nur schön zu reden, sondern, mit Interventionen, die gerichtlich immer wieder zurückgewiesen werden, scheinbar unbelehrbar, auch in Deutschland zu implementieren sucht!

 Der Staat Israel, der international wegen seiner über 50 Jahre währenden Besatzung , illegalen Besiedlung und Ausbeutung von Territorien, die ihm nicht gehören, sowie überdies wegen der als "israelische Apartheid" geächteten unterschiedlichen Rechtssysteme für jüdische und nicht jüdische Menschen angeprangert wird, ist nicht schön zu reden, so lange die Verhältnisse so sind, wie sie sind. 

 In Deutschland gilt das von Deutschen festgeschriebene und gewollte  Grundgesetz! Es garantiert jeder Bürgerin und jedem Bürger  in Artikel 5 die Meinungs- und Art. 8 die Versammlungsfreiheit!

 Natürlich ist Frau Knobloch berechtigt,  enge Freundschaft zu Israel zu pflegen, diese nach Belieben laut in allen Medien zu propagieren und auf öffentlichen Veranstaltungen alles kundzutun, wofür sie einsteht oder auch nicht.

Unsäglich und unerträglich ist, dass sie, unterstützt von einem Netz israelischer Lobbyisten, immer wieder danach trachtet, Anderen hierzulande eben die in Art. 5 und 8 grundgesetzlich verbrieften Rechte zu versagen.

Dank der Münchner JPDG sowie einer Recht-sprechenden Richterschaft gelingt die von Frau Knobloch betriebene Unterminierung der deutschen Verfassung im Interesse des Staats Israel nicht! 

Zumindest nicht immer!

 Fanny-Michaela Reisin

Abendzeitung 20.09.19: Nach Beschwerde von Charlotte Knobloch Vortrag von Antisemiten? Caritas kündigt Verein fristlos

Lukas Schauer: Die Caritas kündigte den Mietvertrag mit dem fraglichen Verein fristlos.

Die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe (JPDG) wollte am Montag bei der Caritas einen Vortrag halten. Das sorgt bei Charlotte Knobloch und der Israelitischen Kultusgemeinde für heftigen Protest – mit Konsequenzen.

München - "Mit Erstaunen und Verärgerung" habe sie den Vortrag zur Kenntnis nehmen müssen, schreibt Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitische Kultusgemeinde, an Peter Bachmeier, seines Zeichens Chef des Münchner Caritasverbandes. Der Beschwerdebrief liegt der AZ vor.

Vortrag von Antisemiten? Caritas München kündigt Verein fristlos.

Was war passiert? Die Caritas hatte dem Verein "Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe (JPDG)" am kommenden Montag (23.9.) Räumlichkeiten für den Vortrag zur Verfügung gestellt. Eigentlich kein unübliches Vorgehen. Allerdings gehört die JPDG zu den eingetragenen Unterstützern der BDS- Kampagne (siehe unten). Und wird von der Stadt als antisemitisch eingestuft.

BDS-Kampagne gilt als antisemitisch

Bereits 2017 hatte der Stadtrat beschlossen, dass keine Räume mehr für Veranstaltungen der BDS- Kampagne genutzt werden dürfen – auch von der Stadt geförderte Einrichtungen sollten sich dem anschließen. Im Mai dieses Jahres strich auch der Bund die finanzielle Unterstütung.

Dass die Caritas nun einer solchen Veranstaltung eine Bühne biete, "muss ich im besten Fall als gefährliche Achtlosigkeit verstehen", schreibt Knobloch. Sie habe die Caritas bislang als "verlässlichen Partner im Kampf gegen Antisemitismus" erlebt, schreibt Knobloch weiter und bittet "nachdrücklich und eindringlich darum", die Raumüberlassung "zu überdenken".

Caritas kündigt fristlos

Auf Nachfrage teilt die Caritas mit: Der Mietvertrag wurde bereits fristlos gekündigt! "Wir sind Frau Knobloch für den Hinweis sehr dankbar", sagt eine Sprecherin und erklärt, dass man bei der Anfrage zur Anmietung getäuscht worden sei: ein zweiter, harmloser Verein sei ebenfalls als Veranstalter angegeben worden. Diesen habe man geprüft und der Anfrage stattgegeben. "Ein Fehler, für den wir uns entschuldigen".

"Antisemitismus hat bei uns natürlich keinen Platz. Die Caritas gibt dem im doppelten Sinne keinen Raum", so die Sprecherin. Das werde man auch Frau Knobloch noch einmal versichern. Ob es seitens der JPDG rechtliche Schritte gebe, war am Donnerstag noch unklar.

BDS steht für "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen". Die Bewegung verlangt ein Ende der Besatzung des Westjordanlandes, der Golanhöhen und Ostjerusalems, die völlige Gleichberechtigung arabisch-palästinensischer Bürger Israels und ein Recht auf Rückkehr nach Israel für palästinensische Flüchtlinge und deren Nachkommen.

https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.nach-beschwerde-von...ndigt-verein-fristlos.5e094c84-f4f1-4c6e-b7cd-fbe92bd8624f.html Seite 2 von 4

Mein Schreiben an Bundeskanzlerin Merkel

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,

über die Zuspitzung an der Straße von Hormus und die vielen Krisenherden in der Welt darf der historisch älteste Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nicht vergessen werden. Deshalb wende ich mich an Sie. 

Mit tiefer Sorge verfolge ich in deutschen Zeitungen und in sozialen Medien die häufig unerträglichen Angriffe auf unseren Ständigen Vertreter bei den Vereinten Nationen Dr. Christoph Heusgen, der ja nichts anderes getan hat, als die israelische Regierung an international verbindliche Normen zu erinnern. Vor Jahren hatten mein Mann und ich die Gelegenheit, Herrn Dr. Heusgen im Bundeskanzleramt kennen und schätzen zu lernen. 

Mittlerweile soll die gesamte Bundesregierung in die antisemitische Ecke gestellt werden wegen ihrer auf die Mittel der Diplomatie setzenden Haltung in der Krise um Iran. Diese Hetze wird vor allem von einem hohen Offizier des israelischen Militärs, einem Mitarbeiter des Außenminiserums und des Nachrichtendienstes getrieben. Wäre es umgekehrt, gäbe es seitens Israels massive Proteste. Wir dürfen nicht zulassen, dass ausländische Lobbyisten gegen unsere Demokratie agieren und sich in innere Angelegenheiten der Bundesrepublik einmischen. 

Der Erwähnte wird vom Bundesbeauftragten für jüdisches Leben in Deutschland und gegen Antisemitismus Dr. Felix Klein mit Steuergeldern gefördert! Das bleibt der Bevölkerung nicht verborgen. Statt den Antisemitismus zu bekämpfen, schüren solche Entscheidungen antijüdische Ressentiments, so dass ich befürchte, dass sie eines Tages auf uns Juden zurückschlagen werden. 

Im Juni habe ich meine Tochter in Tel Aviv und Freunde in der Westbank besucht. Ich habe die Palästinenser noch nie so hoffnungslos erlebt. Sie haben den Eindruck, dass die „Palästinafrage" von unserer politischen Landkarte verschwunden ist. Auch befürchten sie, dass die nächste israelische Regierung noch weiter nach rechts rücken wird. Selbst wenn die Opposition gewinnen sollte, würde das an ihrer Lage nichts ändern. 

Deshalb, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, bitte ich Sie, Ihren Einfluss geltend zu machen, dass die israelische Politik die Menschenrechte der Palästinenser sowohl in den besetzten Gebieten als auch in Israel achtet und sie als gleichberechtigte Bürger behandelt. Nur so kann auch die Zukunft des Staates Israel garantiert werden. Denn es gibt keinen Frieden für Israel ohne einen Frieden für die Palästinenser und umgekehrt. 

Das historische Unrecht an den Juden lässt sich nicht mit einem neuen Unrecht an den Palästinensern wiedergutmachen.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Judith Bernstein 

PS. Am 04. September teilte mir das Bundeskanzleramt mit, dass die Bundesregierung auch künftig an ihren bekannten Positionen festhält: 2-Staaten-Lösung, direkte Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern, Bekenntnis zu international vereinbarten Parametern. Offen bleibt die Frage, wie diese Positionen politisch umgesetzt werden sollen.

 

 

 

Ein neues Gespenst geht um in Deutschland

von Ilana Hammerman  

„Der neu-deutsche Antisemit" heißt ein kürzlich in Deutschland erschienenes Buch. Sein Autor Arye Sharuz Shalicar ist jetzt unterwegs, um für sein Werk in ganz Deutschland zu werben. Die Reise wird von der Bundesregierung finanziert, genauer gesagt von ihrem Beauftragten für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. Dieses Amt, das solch einen eigenartigen Titel trägt – das wahre jüdische Leben in Deutschland, das seinerzeit so vielfältig war, wurde vor siebzig Jahren brutal vernichtet –, wurde vor etwas mehr als einem Jahr eingerichtet. So bekam ich neulich während meines Besuchs in Berlin ein wenig von dem zu spüren, was als heutiges „jüdisches Leben" ausgegeben wird, mittels offener oder verdeckter Interventionen der israelischen Regierung und ihrer Institutionen. Ich besuchte einen Abend zu Ehren des Buches, der an der Humboldt-Universität stattfand.

Shalicar ist israelischer Staatsbürger, Major der Reserve, ehemaliger Armeesprecher und auch heute in leitender Position: Leiter der Abteilung für auswärtige Angelegenheiten im „Ministerium für Nachrichtendienste". Auf der offiziellen Website dieses Ministeriums – ebenfalls ein relativ neues Produkt im Geiste der Zeit – heißt es, dass „das Ministerium als aktiver Partner in Israels nachrichtendienstlichem und sicherheitspolitischem System fungiert … als Basis eines Apparats, dessen Ziel es ist, 'schwache Signale' und 'aufkommende Trends' in der Welt und in der Region frühzeitig zu erkennen“ Aber in der Humboldt-Universität stellte sich Shalicar als Privatmann vor: „Arye, ich bin Arye.“

Arye ist in Deutschland geboren und aufgewachsen und schreibt und spricht fließend Deutsch, gewürzt mit aktuellen Floskeln der Umgangssprache. In diesem fließenden Deutsch hat der Mann vor seinen deutschen Zuhörern eine lange Hetz- und Propagandarede gehalten – eine arrogante, giftige und rassistische Hetze vor allem gegen Muslime, aber auch gegen bestimmte Juden und eine billige Propaganda zum Lob Israels und seiner Politik. Seine Worte wurden vom Publikum mit Genugtuung und Applaus aufgenommen.

In der Einladung hieß es, dass eine Diskussion vorgesehen sei. Also meldete ich mich zu Wort, um meine jüdisch-israelische Sichtweise zum Ausdruck zu bringen. Ich wollte die Tatsachen richtigstellen, was Deutschland und Israel betrifft, und habe besonders immer wieder gegen die Verteidigungsmauer des „Privatmannes" protestiert, hinter der sich der Vortragende verschanzte.

Ich erhielt feindselige Reaktionen: Weder der Vortragende, noch der Moderator, noch das Publikum waren an einer Diskussion interessiert. Ich wurde mit bösen Blicken fixiert und aufgefordert zu schweigen. Arye beklagte sich, ich störe so sehr, dass er nach dem Abend eine entspannende Massage brauche. So sagte er es und grinste das Publikum kokett an, das mit einem Lächeln der Zuneigung und des Verständnisses reagierte. Es war offensichtlich, dass er ein Mann nach ihrem Geschmack war, dieser dreiste Israeli, der gegen Muslime im Allgemeinen und in Deutschland insbesondere predigt und für die Notwendigkeit plädiert, mit starker Hand gegen sie vorzugehen. Ausdrücklich gegen sie und nicht gegen den deutschen Rechtsextremismus, der laut jüngsten Berichten für eine erheblich zunehmende Zahl durch Hass motivierter Verbrechen verantwortlich ist. Anfang Juni fand sogar ein politischer Mord statt: Der Kasseler Regierungspräsident wurde vor seinem Haus wegen seines Engagements für die Flüchtlinge in Deutschland ermordet.

Ich verließ den Raum gequält von einer Last, die ich bei meinen früheren Besuchen in Deutschland so nie gespürt hatte.

Ein heißer Sommer hat von Berlin Besitz ergriffen. Der ganze Himmel strahlt in blauer Farbe. Und doch lief ich unter ihm gebeugt und mit düsteren Gefühlen umher, als ob die Wolken der Vergangenheit am Himmel wieder aufziehen, unvorhersehbar, hinterhältig – eine erstickende Feindseligkeit hüllt sich in ein Gewand von allumfassender Liebe, und dieses Gewand wird immer dicker.

Veranstaltungen, bei denen Kritiker der israelischen Politik, Juden und Nichtjuden, sprechen wollen, bekommen keine öffentlichen Räume mehr. Der Münchner Stadtrat hat beschlossen, keine Räume in kommunalen Einrichtungen für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen, die die BDS-Bewegung unterstützen, nicht einmal für Veranstaltungen, die sich mit der Bewegung befassen (!). Der farbige Rapper Talib Kweli aus New York, der planmäßig zu einem Festival in Düsseldorf eingeladen worden war, wurde vom Direktor des Festivals aufgefordert, seine Position gegenüber der BDS-Bewegung schriftlich klarzustellen. Als sich der Künstler weigerte, dies zu tun, wurde seine Beteiligung abgesagt. Am 17. Mai wurde im Bundestag mit überwältigender Mehrheit eine Resolution verabschiedet, in der definiert wurde, was Antisemitismus sei, und behauptet, dass diese Definition auf die BDS-Bewegung zutreffe. Peter Schäfer, Direktor des Jüdischen Museums Berlin, ein Judaist ersten Ranges, musste unter dem Druck der Kritik zurücktreten; die Pressesprecherin des Museums wurde freigestellt, nachdem auf der Homepage des Museums auf einen Zeitungsartikel hingewiesen wurde, in dem eine Petition jüdischer Akademiker aus Israel und außerhalb Israels gegen den Beschluss des Bundestags zitiert wurde. Eine große Bank in Berlin hat das Konto der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ endgültig geschlossen, nachdem vor einigen Monaten die Universität Göttingen und der Oberbürgermeister ihre Patenschaft beim etablierten jährlichen Göttinger Friedenspreis zurückgezogen hatten, weil die Jury den Preis an diese Organisation für ihren Einsatz für Menschenrechte verliehen hatte. Der haltlose Grund für diese Entscheidung war die Unterstützung der BDS-Bewegung seitens der „Jüdischen Stimme", also „Antisemitismus“.

Aus dieser immer längeren Liste wird klar, gegen wen die Deutschen sind: gegen die BDS-Bewegung. Diese Bewegung wurde für sie, die Deutschen, zu einem Sündenbock unter dem Deckmantel eines neuen eigenartigen politischen, von Interessen geleiteten Kampfes gegen den Antisemitismus. Dazu soll hier klar festgestellt werden (und dies tue ich, obwohl ich mit einigen BDS-Positionen nicht einverstanden bin), dass diese Bewegung nichts mit Antisemitismus zu tun hat: Sie ist einzig und allein aus dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern entstanden.

Wen nun unterstützen die Deutschen? Die Veranstaltung an der Humboldt-Universität und Shalicars Buch gaben mir eine traurige Antwort: Sie unterstützen mit öffentlichen Geldern den neuen israelisch-jüdischen Rassisten, den der Autor und sein Buch in all seiner Hässlichkeit verkörpern. Shalicar hält in Deutschland nicht nur die Fahne des Rassismus gegen Araber, Muslime und Einwanderer aus muslimischen Ländern hoch, sondern auch die Fahne des Rassismus gegen Juden, die Kritik an der Politik der israelischen Regierung üben, und sogar gegen Deutsche, denen er eine jüdische Identität zuschreibt.

Einer der Menschen, auf die es Shalicar in seinem Buch besonders scharf und grob abgesehen hat, ist Dr. Reiner Bernstein. Bernstein, geboren 1939, wohnhaft in München, widmete seine Doktorarbeit dem Studium des Antisemitismus in der Weimarer Republik; er ist ein Wissenschaftler und Publizist, eine Person, die sich am öffentlichen und politischen Leben beteiligt. Eine zentrale Rolle in seinem Engagement spielt die gründliche Beschäftigung mit dem Konflikt zwischen dem Staat Israel und dem palästinensischen Volk. Bernstein hat in Deutschland die Genfer Initiative vertreten, steht also für die Zwei-Staaten-Lösung. Sein Weg ist nicht der der BDS-Bewegung. Seit vielen Jahren bemüht er sich, den Stimmen der israelischen und palästinensischen Friedensaktivisten und Menschenrechtsorganisationen im deutschen Diskurs Gehör zu verschaffen – eine zunehmend schwierige Aufgabe in der heutigen Zeit.

Ein weiterer Meilenstein in Bernsteins Arbeit ist seine Beteiligung am Gedenkprojekt „Stolpersteine". Sechs Jahre lang stand er in seinem Wohnort München an der Spitze dieses beeindruckenden Projekts, dessen Ziel es ist, die Erinnerung an die Opfer der Nazis mit eingelassenen Gedenksteinen auf den Gehwegen wachzuhalten. Dies ist eine der kreativen und eindrucksvollen Initiativen, die dazu führen, dass die Auseinandersetzung mit den Verbrechen Nazideutschlands an ihren richtigen Ort gebracht wird: in die Öffentlichkeit. Die Verfolgung jüdischer Bürger fand ja vor aller Augen statt, und so wurde die gesamte deutsche Gesellschaft zu einem Partner im Verbrechen – durch aktive Beteiligung und durch passives Hinschauen.

Aber siehe da, auch in diesem Zusammenhang ist Shalicar auf Bernstein wütend, so unglaublich es klingen mag: Reiner Bernstein, so steht es in Shalicars Buch, „liebt tote Juden in Deutschland und ehrt sie mit Stolpersteinen, aber mit lebendigen Juden in Israel hat er ein Problem, weshalb er eine Organisation unterstützt, die zum Boykott lebendiger Juden aufruft... Bernstein ist ein selbsthassender Jude, ich glaube, dass er es hasst, Jude zu sein und insgeheim sich wünscht, er wäre kein Jude. Bernstein lebt in einer Fantasiewelt. Er ist Jude und wird Jude bleiben, ganz gleich, wie sehr er es hasst, Jude zu sein." So schreibt dieser unverschämte Israeli über einen moralisch aufrechten Mann, der vor achtzig Jahren als Sohn deutscher protestantischer Eltern geboren wurde und kein Jude ist.

Nun aber lassen wir Shalicar mit seinem Rassismus und seinen Lügen beiseite. Denn mit den Deutschen habe ich eine Rechnung offen: Der Höhepunkt dieses Kapitels auf deutscher Seite war das Urteil des Landgerichts Berlin, das gerade in diesen Tagen eine Klage Bernsteins gegen Shalicar und den Verlag, der das Buch veröffentlicht hat, wegen Rufmords und Verleumdung zurückgewiesen hat. Das Urteil besagt, dass die Äußerungen in dem Buch „eine zulässige kritische Meinungsäußerung" nicht überschritten. Dafür lieferten Bernsteins Ansichten eine sachliche Grundlage. Zum Selbsthass, den Shalicar dem „Juden" Bernstein vorwirft, und zu der falschen Behauptung, Bernstein sei Jude, sagt das Gericht, dass diese Aussagen als eine noch legitime „subjektive Einschätzung“ gälten, die sogar durch die politische Einstellung Bernsteins und seiner Frau (sie ist tatsächlich Jüdin) bestätigt würden. Es ist wichtig anzumerken, dass sich das Urteil auch auf die öffentliche Meinung in Deutschland stützt, die unter dem Einfluss der politischen Führung des Landes Kritik an der Politik Israels als eine Form des Antisemitismus ansieht. In ihrem Urteil bezieht sich die Richterin ausdrücklich auf den neuen Beschluss des Bundestages, der dieser Position seinen staatlichen Segen verliehen hat.

In einem offenen Brief haben sich die Kulturwissenschaftler Jan und Aleida Assmann, die letztes Jahr mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden sind, für den zurückgetretenen Direktor des jüdischen Museums Peter Schäfer eingesetzt: „Ein neues Gespenst geht um in Europa: das ist der Antisemitismus-Vorwurf.“ Er stelle „uns Europäer, insbesondere Deutsche, unter Generalverdacht und ruft im Stil der McCarthy-Ära zu einer Hexenjagd auf jeden auf“, der die Politik Israels nicht unterstütze und denunziere ihn als Antisemiten.

„Wir haben Angst", sagen mir immer wieder Gesprächspartner in Deutschland, die die gefährlichen Entwicklungen in Israel mit Bedauern und Besorgnis betrachten und sich fürchten, dies zum Ausdruck zu bringen. Diese Angst wächst immer weiter, denn das ist heute nach dem Bundestagsbeschluss die offizielle Position, die seit einigen Jahren im öffentlichen Leben und in Gerichtsurteilen vorherrscht: Die Kritik an der israelischen Politik gilt als Antisemitismus und wird juristisch verfolgt – auch wenn gerade diese Politik Millionen Juden (und Nichtjuden), die in dem von Israel kontrollierten Gebiet leben, in eine völlig ausweglose Situation bringt.

In der Tat geht in Deutschland ein neues böses Gespenst um. Die Drahtzieher sitzen in Israel, es sind die israelische Regierung, der Auslandgeheimdienst und der Inlandsnachrichtendienst, die ein Vermögen für diese Tätigkeiten ausgeben. Aber die Schuldigen an diesem neuen Gespenst, Politiker aller Schattierungen, sitzen in Deutschland. Ich glaube nicht an die Unschuld und Ehrlichkeit jener, die sich von diesem Garn einwickeln lassen. Ich verdächtige sie der Heuchelei und Scheinheiligkeit. Bewusst oder unbewusst oder weil sie die Tatsachen nicht wissen wollen, bedienen sie sich einer neuen Art von Rassismus, zu der auch eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber unserem Schicksal hier in Israel gehört. In diesem Sinne verfolgen sie auch uns, Mitglieder des Friedenslagers in der israelischen Gesellschaft. Unser Spielraum wird immer weiter verengt. „B'tselem“ und „Breaking the Silence“ sind hier sicherlich keine gern gesehenen Gäste. Die Warnungen seitens israelischer Historiker und israelischer Faschismus- und Nationalsozialismus-Forscher vor dem aktuellen Weg der israelischen Regierung können nach der neuen Definition des Antisemitismus in Deutschland sanktioniert werden. Wenn die international hochgeschätzte Tageszeitung „Haaretz“, die diesen Stimmen eine wichtige Plattform bietet, eine deutsche Zeitung wäre, würden ihre Redakteure heute ganz sicherlich auf der Anklagebank sitzen.

 

Der Beitrag von Dr. Ilana Hammerman erschien am 05. Juli 2019 in der Tageszeitung „Haaretz“. Der Text wurde von Jonathan Nieraad, Berlin, aus dem Hebräischen übersetzt.  

Quelle des Originals: https://www.haaretz.co.il/opinions/.premium-1.7438029

Englische Version: https://www.haaretz.com/opinion/.premium-the-evil-new-apparition-that-is-stalking-germany-today-1.7497733

 

 

Spendenaufruf zur Prozesskostenunterstützung

Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer,

Wir müssen uns heute an Euch in einer zugegebenermaßen unangenehmen Angelegenheit wenden. Unser Mitglied Judith Bernstein und ihr Mann Reiner Bernstein sind von verschiedenster Seite mit üblen Verleumdungen überzogen worden, gegen die sie juristisch vorgehen. Dabei handele es sich um folgende Sachverhalte:

Die Vorsitzende der Deutsch Israelischen Gesellschaft Stuttgart hat Reiner Bernstein vorgeworfen, BDS zu unterstützten (was schlicht sachlich falsch ist), und ihn desweiteren als Antisemit bezeichnet.

Außerdem klagen Judith & Reiner Bernstein gegen Arye Sharuz Shalicar, den ehemaligen Pressesprecher der israelischen Armee und aktuell Abteilungschef für „Internationale Beziehungen“ beim israelischen Ministerium für Nachrichtenangelegenheiten. Er hat Judith Bernstein vorgeworfen, eine „Alibi-Jüdin" zu sein und in seinem neuen Buch (das er in der Münchner jüdischen Gemeinde im Herbst 2018 bereits präsentiert hat), folgende Passage über Reiner Bernstein zum Besten gegeben:

"Reiner Bernstein liebt tote Juden in Deutschland und ehrt sie mit Stolpersteinen, aber mit lebendigen Juden in Israel hat er ein Problem, weshalb er eine Organisation unterstützt, die zum Boykott lebendiger Juden und jenen, die mit ihnen in Frieden leben, aufruft. … Bernstein will wahrscheinlich auch nicht anders sein als die Münchner Elite und tut alles, um noch Israel-kritischer bzw. antisemitischer aufzutreten als alle anderen, um nicht nur wie alle anderen gekleidet zu sein, zu sprechen und sich zu benehmen, sondern auch mit dem Zeigefinger auf den gemeinsamen Feind, den Juden und seinen kriminellen Staat, zu deuten. Er lebt in einer Fantasiewelt. Bernstein ist Jude und wird Jude bleiben, ganz gleich, wie sehr er es hasst, Jude zu sein. Keine Anti-Israel-Aktion, die er unterstützt, wird ihn unjüdischer und somit in den Augen der Antisemiten ‚menschlicher‘ machen."

Weder ist Reiner Bernstein Jude, noch unterstützt er BDS.

In diesem Kontext bitten wir, um die auf sie zukommenden Prozesskosten stemmen zu können, um Eure Spende, die auf folgendes Konto überwiesen werden können:

Evangelische Bank

Jüd.Paläst.Dialoggruppe Mch

IBAN: DE93 5206 0410 0000 2812 80

Verwendungszweck: Spende Prozesskosten

 

Firouz Bohnhoff

Riyad Helow

Adrian Paukstat

Dr. Jochim Varchmin

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Kontakt:  mailto@jpdg.de,   www.jpdg.de

Ilana Hammerman: Antwort an die Mitglieder des Bundestags

30. Mai 2019

Weder Gutes, noch Böses will ich von Dir, Deutschland! Das rufe ich als israelische Jüdin diesem Land zu, dessen PolitikerInnen – im Zuge ihrer Ablehnung der BDS-Bewegung – beschlossen haben, dass ich und meine GenossInnen im Kampf gegen die israelische Politik als antisemitisch zu gelten haben. Die Tatsache, dass Du, Deutschland, die Familie meiner Mutter umgebracht hast und dazu noch Millionen weitere meines Volkes, gibt Dir nicht das Recht zu entscheiden, was Antisemitismus ist. Und dieses Recht hast Du Dir mit dem scheinheiligen Bundestagsbeschluss vom 17. Mai 2019herausgenommen.

Denn es ist nicht die Frage der BDS-Bewegung (deren Verurteilung keinerlei substantielle Begründung erfahren hat), die im Mittelpunkt des Beschlusses steht, ganz und gar nicht: Der Großteil des Beschlusstextes befasst sich mit der Definition des Begriffs Antisemitismus. Die deutschen Verfasser haben damit einen langweiligen und verdrehten, verschwurbelten und verstörenden Text hervorgebracht, dessen Kernaussage die Gleichsetzung von Antisemitismus mit der Kritik an der Politik des israelischen Staates ist.Der Beschluss geht in keinster Weise auf die Prozesse ein, die der Staat und die Gesellschaft Israels in den letzten Jahren durchlaufen haben, und die das Land an den Rand von Ausweglosigkeit und Verderben gebracht haben, und zwar für alle seine Bewohner, JüdInnen wie Nicht-JüdInnen – so sehr, dass Israel mittlerweile zum gefährlichsten Ort für JüdInnen weltweit geworden ist, und nicht wenige von dort geflohen sind.

In dem widerwärtigen Beschluss des deutschen Parlaments findet sich kein Wort dazu, dass in dem israelischen Parlament Männer und Frauen sitzen, die sich ausdrücklich für faschistische Ideologien einsetzen – für ein von jüdischem Nationalismus getragenes autoritäres Regime und für die Unterdrückung anderer Nationalitäten, vornehmlich des palästinensischen Volkes, in allen von Israel kontrollierten Gebieten, vom Meer bis an den Jordan. Kein Hinweis darauf, dass diese Ideologien im Laufe der Jahre für neue Gesetze sorgen und gesorgt haben, deren schrittweise und durchtriebene Durchsetzung an die Prozesse erinnern, die Deutschland selbst in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg durchgemacht hat.

Der Entscheidung des Bundestags zufolge ist ein radikaler Kampf gegen die israelische Politik – wie er von aufgeklärten JüdInnen in Israel und auf der ganzen Welt geführt wird – gleichbedeutend damit, Israel das Existenzrecht als „jüdischer und demokratischer Staat“ abzuerkennen. Als ob Israel, dessen Gesetzgeber mit erschreckender Effizienz daran arbeiten, die Machtbefugnisse des Rechtssystems, den Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Organisationen und das Recht von nicht-jüdischen BürgerInnen auf ein gleichberechtigtes Leben einzuschränken – als ob dieses Israel immer noch ein demokratischer Staat wäre. Als ob ein Staat, der seit mehr als fünfzig Jahren über Millionen von Menschen herrscht, die keinerlei Rechte haben, deren Land er stiehlt, deren Häuser er zerstört, denen er Freizügigkeit und Lebensunterhalt raubt, und der kraft seiner gewaltigen Militärmacht das Recht auf ein menschenwürdiges Leben nur JüdInnen zugesteht, die das Land dieser Millionen besiedeln – als ob solch ein Apartheidsstaat immer noch als demokratischer Staat angesehen werden könnte. Das Parlament und die Regierung Israels werden tatsächlich in einem demokratischen Verfahren gewählt (wobei die palästinensischen BewohnerInnen der besetzten Gebiete an den Wahlen nicht teilnehmen können, obwohl ihr Schicksal von ihnen bestimmt wird); aber Ihr, die Deutschen, müsstet am besten wissen, dass dies kein Kriterium für echte Demokratie ist, Ihr, Angehörige des Volkes, das mehrheitlich direkt und indirekt der NSDAP die Macht übertragen hat.

Antisemitismus ist die Leugnung von „Israels Recht auf seine Landesverteidigung“, stellt Ihr fest. Doch Euer Beschluss nimmt in keiner Weise Bezug darauf, dass die Kriege Israels, dass die seit vier Jahrzehnten anhaltenden Bombardierungen aus der Luft, dem Meer und vom Land, die das Leben von hunderttausenden Zivilisten vom Libanon bis Gaza zerstört haben, schon lange nicht mehr dazu dienen, die Sicherheit seiner BürgerInnen zu verteidigen. Über diese Kriege haben Experten und andere kluge Menschen, meistens JüdInnen,schon alles geschrieben und gesagt. Und ausgerechnet in dieser düsteren Periode der Geschichte unseres Landes sah der deutsche Bundestag unter dem Vorwand des Kampfes gegen Antisemitismus es als dringend notwendig an, die politische, wirtschaftliche und militärische Stellung Deutschlands an der Seite Israels zu bekräftigen.

In Eurem gesamten Beschluss gibt es nicht einen einzigen Absatz über unseren Kampf – der nicht zuletzt dank Eures Zutuns vor einer vernichtenden Niederlage steht –, hier als Menschen leben zu können und nicht in dem blutigen Konflikt zu sterben. Ein Konflikt, den die israelischen Regierungen seit Jahrzehnten endlos fortführen; und heute verbergen sie nicht einmal mehr ihre Überzeugung, dass wir hier für immer nur durch das Schwert leben werden. Das Militär, so bestimmen es hier die Gesetzgeber und Staatsvertreter, hat die geografischen, politischen und moralischen Grenzen des Staates Israels festgelegt und wird sie auch weiter bestimmen. Das Militär, und nicht die Konventionen der internationalen Gemeinschaft – die übrigens größtenteils in Folge der von Eurem Land begangenen Zerstörungen und Morde enstanden sind -, das Militär, und nicht die Resolutionen der Vereinten Nationen, die Israel verachtet und negiert und über die es sich bedenkenlos hinwegsetzt. Nein, nichts von all dem behandelt Ihr im Deutschen Bundestag. Anstatt Eure schwere und echte Verantwortung für unser Schicksal hier anzuerkennen, suhlt Ihr Euch in Euren Schuldgefühlen. Das ist das Wesen Eures Beschlusses, und das ist die Bedeutung seiner Artikel und Klauseln.

Auf all das will ich Euch, den Mitgliedern des Bundestags, eine Antwort erteilen. Ich, als eine der israelischen JüdInnen, die immer noch an ihrer Liebe zu diesem Land festhalten und die ihre schwindenden Kräfte zur Verteidigung unserer Moralität und körperlichen Unversehrtheit einsetzen, für die es keine andere Garantie gibt als eine friedliche Lösung.

Und dies ist meine Antwort: Ja zu schrittweisen wirtschaftlichen und kulturellen Sanktionen gegen den Staat Israel; ja zu einem totalen Boykott aller wirtschaftlichen Produkte der Siedlungen – diesem wahnsinnigen Projekt, das unter der Schirmherrschaft und mit Unterstützung Eures Landes seine Tentakel bereits über die gesamte Westbank ausgestreckt hat.

Ihr habt nicht das Recht, mich als Antisemitin zu bezeichnen, nur weil ich glaube, dass unter den gegebenen Umständen Sanktionen und Boykotte das einzig wirksame gewaltfreie Instrument sind, um den Staat Israel zur Aufgabe seiner Kontrolle über die besetzten Gebiete und deren Besiedelung zu zwingen. Es gibt nicht die geringste Übereinstimmung zwischen einem solchen politischen Boykott und dem brutalen rassistischen Boykott, den die Nazis in Eurem Land im April 1933 über jüdische Unternehmen verhängt haben.

Ihr habt nicht das Recht, mich als Antisemitin zu bezeichnen, weil ich über diese Zeilen hinaus meine KollegInnen aus Kunst und Wissenschaft dazu aufrufe, mit unserer eigenen Stimme zu sagen: „Wir, KünstlerInnen, Intellektuelle und AkademikerInnen, BürgerInnen und EinwohnerInnen Israels, appellieren an die internationale Gemeinschaft, Druck auf Israel auszuüben und es durch die Verhängung politischer, wirtschaftlicher und kultureller Sanktionen zu zwingen, seine BürgerInnen aus den 1967 besetzten Gebieten zu evakuieren. Wir gehen diesen schmerzhaften Schritt, uns nach aussen zu wenden, aus Liebe zu unserem Land und in großer Sorge, nicht nur um den demokratischen Charakter unseres Staates, sondern auch um seine Zukunft und Existenz – unsere Existenz… Lasst uns der westlichen Zivilgesellschaft sagen: hört auf mit dem selbstgerechten Getue um Eure Schuldgefühle. Steht stattdessen zur schrecklichen Schuld Eurer Väter und Eurer Staaten und ergreift die in diesen Zeiten einzig richtige Initiative: Widerstand gegen die Politik der israelischen Regierung.“ („An alle, denen dieses Land am Herzen liegt“, Haaretz, vom 1.2.2019)

Aus Jerusalem, meiner durch Mauern aus Stein, Metall und Feindseligkeit geteilten Stadt heraus, habe ich in meinem Artikel auch der Bewegung „Jüdische Stimme“ in Deutschland Mut zugesprochen. Dieser Bewegung, die von allen Seiten Schikanen erfährt, jetzt noch verstärkt durch den Beschluss des Bundestages, habe ich zugerufen: „Haltet durch! Die, die Euch AntisemitInnen nennen, irren sich und sind somit auch irreführend. Sie verzerren den Begriff, was eine neue Gefahr darstellt, die noch heimtückischer ist als die vorhergehende. Diese Gefahr hat starke und immer tiefer wachsende Wurzeln, die dringend entfernt werden müssen – behutsam und klug, aber auch mit Entschlossenheit, denn die Zeit läuft uns davon.“

Quelle: https://www.juedische-stimme.de/2019/05/30/ilana-hammerman-antwort-an-die-mitglieder-des-bundestags/

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Der Artikel ist auf Haaretz auf Hebräisch und Englisch erschienen.

Offener Brief der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München an den Stadtrat, den Oberbürgermeister und das Kulturreferat der Landeshauptstadt München     

15. April 2019

Die Wahlen in Israel am 9. April 2019 haben unsere Befürchtungen bestätigt, dass es in Israel, in der Westbank und im Gazastreifen keinen Platz für Palästinenser geben soll. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu behauptet, dass die Palästinenser 22 arabische Staaten hätten. Mit unserer Arbeit will die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München darauf aufmerksam machen, dass Israel zu einem Apartheid-Staat zu werden droht, worüber sich auch in Israel Ängste breitmachen. 

In Deutschland löst das Thema Antisemitismus zu Recht hohe Sensibilität aus. Allerdings ist es unmöglich, ihn isoliert zu bekämpfen, ohne gegen die Diskriminierung von anderen Minderheiten einzutreten. Der Beschluss des Münchner Stadtrats vom Dezember 2017 erweckt hingegen den Eindruck, dass es lediglich um die Abwehr jeder Kritik an der israelischen Regierung geht. Wir nehmen das Recht der Kritik wahr und verwahren uns gegen die Verleumdung, damit den Antisemitismus zu fördern. 

Die zivilgesellschaftlich getragene BDS-Kampagne setzt sich für die Geltung des Völkerrechts ein und für die juristische Gleichstellung der palästinensischen Staatsbürger Israels. Das im Juli 2018 von der Knesset verabschiedete „Nationalstaatsgesetz für das jüdische Volk“ spricht diesem Anspruch Hohn. 

Ist unser Einsatz für die Menschenrechte der Palästinenser antisemitisch? Anstatt sich mit der Politik Israels auseinanderzusetzten, haben Sie ein Verbot verabschiedet, das die Münchner Stadtgesellschaft spaltet, Ihnen die politische Glaubwürdigkeit raubt und die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe zum Schweigen bringen soll. Da wir in einer offenen, liberalen Stadt leben wollen, fordern wir Sie auf, den Stadtratsbeschluss umgehend zurückzunehmen. 

Wie wollen Sie es Ihren Kindern und Enkelkindern erklären, dass 74 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Deutsche erneut zu Menschenrechtsverletzungen geschwiegen haben? Können Sie Ihr Verbot mit Ihrem Gewissen vereinbaren? 

Judith Bernstein                                     Adrian Paukstat 

Firouz Bohnhoff                                       Dr. Jochim Varchmin 

Riyad Helow                                           Gudrun Weichenhahn-Mer

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 Kontakt: mail@judith-bernstein.de; riyad.helow@web.de; www.jpdg.de

Brief der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe vom 31.03.2019 an Dr. Christoph Heusgen, Botschafter der Ständigen Vertretung der BRD bei den Vereinten Nationen

Sehr geehrter Herr Botschafter Dr. Heusgen, 

 wir sind eine Gruppe von jüdischen Israelis und arabischen Palästinensern in München, die in Israel oder in Palästina geboren wurden, deutsche Staatsbürger sind und seit Mitte der 1980er Jahre in Veranstaltungen und Ausstellungen für den Ausgleich zwischen beiden Völkern werben. Wir vertreten die Auffassung, dass Frieden für Israel nicht ohne Frieden für die Palästinenser und umgekehrt möglich ist. 

Deshalb haben wir mit großem Respekt Ihren Ausführungen im UN-Sicherheitsrat am 26. März zugehört. Wir sind Ihnen dankbar, dass Sie die USA für die Entscheidung kritisiert haben, Israels Annexion der Golanhöhen von 14. Dezember 1981 anzuerkennen. 

Wir möchten daran erinnern, dass der an der Universität Tel Aviv lehrende Verfassungsrechtler Eyal Benvenisti vor anderthalb Jahrzehnten darauf hingewiesen hat, dass in der israelischen Politik die Missachtung des internationalen Rechts so lange anhalten wird, solange der UN-Sicherheitsrat auf die Anerkennung eines Staates Palästina in den Grenzen vor dem Sechs-Tage-Krieg verzichtet und deshalb gemäß Artikel 24 der UN-Satzung den Konflikt nicht zu den Bedrohungen des Weltfriedens zählt, weil Völkerrecht Staatenrecht meint und letzteres der Inbegriff der internationalen Rechtsordnung ist. 

Da die Bundesregierung die Zwei-Staaten-Lösung verficht, erscheint es uns sinnvoll, dass Sie im Sicherheitsrat unter Ihrer Präsidentschaft diesen Gesichtspunkt würdigen. 

Mit freundlichen Grüßen 

Judith Bernstein                                                    Riyad Helow 

Jüdische Sprecherin                                            Palästinensischer Sprecher 

  

 

 

 

 

Presseerklärung der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München zum erneuten Raumverbot anlässlich der Vorführung des Films „Broken“ von Mohammed Alatar.

Presseerklärung der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München zum erneuten Raumverbot anlässlich der Vorführung des Films „Broken“ von Mohammed Alatar.

Am 17.03.2019 beabsichtigte die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München im Eine Welt-Haus München den Film „Broken“ in Anwesenheit des palästinensischen Regisseurs Mohammed Alatar zu zeigen.

Der Film beleuchtet die Hintergründe der Entscheidung des internationalen Gerichtshofes in Den Haag den Bau der Mauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten für völkerrechtlich illegal zu erklären und beleuchtet hierbei insbesondere den persönlichen Entscheidungsprozess der Richter die diese Entscheidung trafen. Besonderes Augenmerk gilt in dieser Darstellung der Person des Richters Thomas Buergenthal, dessen Biographie als Shoah-Überlebender in Alatars Film Teil der einfühlsamen Darstellung der moralischen Dilemmata des Entscheidungsprozesses wird.

Nun hat das Kulturreferat der Stadt München in Person von Herrn Dr. Küppers dem Eine Welt Haus mit Verweis auf den Anti-BDS Beschluss des Münchner Stadtrates, wortwörtlich „untersagt“ die Veranstaltung durchzuführen. Selbstverständlich ist BDS nicht Thema der Veranstaltung und der Regisseur Mohammed Alatar explizit kein Unterstützer der BDS-Kampagne. Vielmehr legt die von Herrn Dr. Küppers vorgelegte Argumentation exemplarisch dar, was wir selbst wieder und wieder zu diesem Beschluss gesagt haben: Der „BDS-Vorwurf“ fungiert hier lediglich als argumentativer Hebel, um jedwede unliebsame politische Veranstaltung, faktisch „untersagen“ zu können. Alles was es hierzu braucht, ist – wenn nötig über drei Ecken – irgendeinen BDS-Zusammenhang herzustellen.

Beim Münchner Kulturreferat hört sich das so an: „Bei einer Gesamtschau der Veranstaltung ist davon auszugehen, dass bei lebensnaher Betrachtung die Diskussionsveranstaltung nicht ohne eine Befassung mit den Inhalten, Zielen und Themen der BDS-Kampagne auskommt, da insbesondere ein zentrales Ziel der BDS-Kampagne der Abriss der Mauer […] ist“. Der Beschluss des IGH zum Bau der Mauer hat explizit festgesetzt dass: „Israel is under an Obligation […] to cease forthwith construction of the wall and […] to dismantle forthwith the structure therein situated.“ Dementsprechend muss letzteres, nämlich der „Abriss der Mauer“ qua juristischer Folgerichtigkeit auch „Ziel“ all derjenigen sein, die den völkerrechtlich verbindlichen Charakter der IGH-Entscheidung anerkennen. Also dem Internationalen Gerichtshof selbst, den Vereinten Nationen, der EU, der BRD, sowie nahezu aller Staaten in der UNO. Wird deren Vertretern in München nun auch das öffentliche Auftreten untersagt? Bekommt Prof. Brunno Simma, der an der juristischen Fakultät der LMU gelehrt hat und der den Beschluss des Internationalen Gerichtshofes mitverfasst hat, nun auch ein Auftrittsverbot in München? Schließlich teilt er sich ja die völkerrechtliche Einschätzung des Mauerbaus mit der BDS-Kampagne.

Die Argumentation muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Um eine Veranstaltung zu „untersagen“, reicht es zu argumentieren, es könne dort möglicherweise auch über BDS gesprochen werden. Das mit dieser Art Argumentation zivilgesellschaftliche Räume systematisch geschlossen werden und sich letztlich nahezu jede beliebige politische Veranstaltung „untersagen“ lässt, sollte uns allen klar sein. Wir werden uns gegen diese Zumutungen selbstverständlich mit allen juristischen Mitteln zur Wehr setzen und gehen in diesem Kontext, da bereits ein Vertrag zur Nutzung der Räumlichkeiten unterschrieben wurde, auch davon aus, den Film dort planmäßig zeigen zu können.

Brief von Dr. Reiner Bernstein an das Kulturreferat der Stadt München

Sehr geehrter Herr Dr. Küppers,

mir ist Ihr Schreiben an den Vorstand und die Geschäftsführung des Trägerkreises Eine-Welt-Haus e.V. vom gestrigen Tage zugänglich gemacht worden. Hierzu stelle ich zunächst fest, dass ich der von Ihnen inkriminierten Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München nicht angehöre. Außerdem unterstütze ich aus Gründen, die zu erläutern ich mir erspare, die BDS-Kampagne nicht. 1968 bin ich mit einer Arbeit über den Antisemitismus in der Weimarer Republik an der Freien Universität Berlin promoviert worden.

Nach diesen drei Vorbemerkungen bedauere ich Ihr Schreiben, welches die Filmveranstaltung mit dem in Ramallah wohnenden Filmemacher Mohammad Alatar am 17. März im EineWeltHaus untersagen soll, außerordentlich. Herr Alatar ist ein Gegner der BDS-Kampagne. Als er mich und meine Frau vor einigen Jahren besuchte, legte er größten Wert auf den Gang durch das einstige Konzentrations- und Vernichtungslager Dachau. Seine Bestürzung war so groß, dass er über die arabische Rezeption des Holocaust einen Film drehen wollte. Dass es bei diesem Plan geblieben ist, war auf das Desinteresse mehrerer der Staatsregierung unterstellten Behörden an einer Mitfinanzierung zurückzuführen.

Die Großeltern meiner Frau, die in Jerusalem geboren ist, wurden Anfang März 1943, also vor nunmehr genau 76 Jahren, nach Auschwitz deportiert. Ihren Eltern, zwei in Deutschland alteingesessene jüdische Familien, gelang 1935/36 die Flucht nach Palästina. Meine Frau und ich haben sechs Jahre lang der Münchner Stolperstein-Initiative vorgestanden, die auf Druck der hiesigen jüdischen Gemeinde von Seiten des Stadtrats an den Rand der Legitimität gedrängt wurde. Eine unserer Töchter lebt in Tel Aviv und gehört politisch zu jenen Kreisen, die sich für einen Ausgleich zwischen beiden Völker einsetzen. Dass dieses Engagement auch von jüdischer Seite in der Bundesrepublik mit der Diffamierung belegt wird, sie sei eine vom Selbsthass zerfressene Jüdin, ist kein Zufall.

Ich wäre Ihnen sehr dankbar gewesen, wenn Sie vor Ihrem Schreiben den Wortlaut der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe zur BDS-Kampagne gelesen hätten. Außerdem wäre es höchst angebracht gewesen, wenn Sie Ihr Verbot in den Zusammenhang der israelischen Politik gegenüber den arabischen Staatsbürgern Israels und der palästinensischen Bevölkerung in den seit 1967 besetzten Gebieten gestellt hätten. Denn es kann Ihnen nicht verborgen geblieben sein, dass die israelische Regierung beste Kontakte zu Viktor Orbán und zu anderen Politikern und Staatsleuten in West- und Mittelosteuropa unterhält, denen antijüdische Ressentiments keineswegs fremd sind.

Ministerpräsident Menachem Begin hat nach seinem Amtsantritt 1977 dafür gesorgt, dass die Markierungen der „Grünen Linie“ aus allen amtlichen Dokumenten entfernt wurden, und die Botschaften und Konsulate angewiesen, die Westbank künftig als „Judäa und Samaria“ zu bezeichnen. Zu den Folgen der Annexion des arabischen Ost-Jerusalem im August 1980 erspare ich Ihnen

meine Beobachtungen. Daraus ergibt sich die Frage, wie die BDS-Kampagne zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten unterscheiden soll. Ich selbst habe seit 2004 in allen Teilen der Bundesrepublik und vor allem in Berlin vergeblich für die zivilgesellschaftlich getragene israelisch-palästinensische Genfer Initiative der Zwei-Staaten-Lösung geworben.

Ihre Vermutung, es sei „davon auszugehen, dass bei lebensnaher Betrachtung die Diskussionsveranstaltung (die sie nicht ist!) nicht ohne eine Befassung mit den Inhalten, Themen und Zielen der BDS-Kampagne auskommt“, ist geradezu hanebüchen. Denn damit formulieren Sie einen Generalverdacht gegenüber den Besucherinnen und Besuchern des Abends, der jedem rechtsstaatlichen Verständnis widerspricht.

 Mit freundlichen Grüßen

 www.jrbernstein.,de

www.genfer-initiative.de

https://www.wbg-wissenverbindet.de/14782/wie-alle-voelker...?number=1022051

Brief von Judith Bernstein an das Kulturreferat der Stadt München

Sehr geehrter Herr Dr. Küppers,

diesen Brief schreibe ich Ihnen weder im Namen der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München noch desEineWeltHauses, sondern nur im eigenen Namen.

Dass ich in München nicht mehr zu meiner Geburtsstadt Jerusalem sprechen darf, seitdem Stadtrat Marian Offman anlässlich meines Vortrags im Oktober 2017 im Gasteig dafür gesorgt hat, dass ich zum Schweigen gebracht werde - damit kann ich leben, wobei ich aber frage, wer darüber entscheidet, wer ein guter und wer ein böser Jude ist. Dass aber der Stadtratsbeschluss von Dezember 2017 große Teile der Münchner Stadtbevölkerung gegen uns Juden aufgebracht hat, nehme ich der Israelitischen Kultusgemeinde, dem Stadtrat und dem Oberbürgermeister sehr übel. Ich halte die jetzige Diskussion für sehr gefährlich. Denn eines Tages werden diese Verbote auf alle Juden zurückschlagen.

Indem Gruppen wie die Dialoggruppe von der jüdischen Gemeinde bekämpft wird, unterstützt sie die israelische Regierung, die keine Probleme mit Antisemiten vom Schlage Viktor Orbáns hat. Fällt die Distanzierung von einer Politik so schwer, die zentrale Werte, die deutsche Juden für sich in unserem demokratischen Staat beanspruchen, mit Füßen tritt? Den Unterstützern der israelischen Politik kommt BDS sehr gelegen - gäbe es diese Kampagne nicht, hätte man sie erfinden müssen. Bei der jetzigen Diskussion um BDS geht es ja nicht wirklich um den Boykott. Diese Bewegung setzt sich für die Rechte der Palästinenser ein – was soll daran antisemitisch sein? Wenn man BDS mit Antisemitismus gleichsetzt, macht man jeden, der diese Gruppe unterstützt, zum Antisemiten, der zum Schweigen gebracht werden müsse. Von der Lage der Palästinenser wird abgelenkt. In Israel selbst findet zu diesem Unrecht eine breite Diskussion statt. Das soll in München nicht möglich sein.

Mit Ihrem Schreiben vom 12. März schaden Sie nicht nur der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe (die die Kosten für diese Veranstaltung trägt), sondern dem palästinensischen Filmemacher Mohammed Alatar , der BDS nicht unterstützt, der aber durch seine Filme versucht, aus der Sackgasse herauszukommen, um mit den Israelis eine Zukunft aufzubauen. Wie die Dialoggruppe gehört auch er zu denjenigen, die im Gegensatz zu den selbsternannten Freunden Israels den Versuch unternehmen, Israel vom moralischen Niedergang zu bewahren und deshalb seine Politik kritisieren.

In einer wirklichen Demokratie hat man unangenehme Meinungen und Ansichten auszuhalten. Wer sie aktiv bekämpft, die Akteure mundtot macht und sie ihrer demokratischen Rechte beraubt, hat seine eigene Glaubwürdigkeit verspielt. Das sollte sich auch der Münchner Stadtrat vor Augen führen. Es ist doch eine Illusion zu glauben, dass man das historische Unrecht an den Juden mit einem anderen Unrecht an den Palästinensern „wiedergutmachen" kann.

Sie können gern diesen Brief auch weiterleiten.

Mit freundlichen Grüßen

Judith Bernstein

Brief von MinDirig. a.D. Dr. Hartmut Wurzbacher an das Kulturreferat der Stadt München

Sehr geehrter Herr Dr. Küppers,

vor einigen Jahren haben meine Frau und ich während eines Besuches in Israel und Palästina auch die Mauer in der Westbank gesehen. Deshalb haben wir uns mit großem Interesse am 17.03.2019 im Eine-Welt-Haus (EWH) den Film „Broken“ von Mohammed Alatar angeschaut und an der nachfolgenden Diskussion teilgenommen. Weder war der Film antisemitisch noch wurden in der Diskussion antisemitische Forderungen erhoben. Gleich zu Beginn der Veranstaltung hat der Leiter des Eine-Welt-Hauses auf den Stadtratsbeschluss von 2017 zur BDS-Thematik hingewiesen und deutlich gemacht, dass das Eine-Welt-Haus kein Forum für die BDS-Kampagne sei und bei der Diskussion über den Film antisemitische Äußerungen jedweder Art nicht geduldet würden. Auf die Bedenken des Münchner Kulturreferates wurde ausdrücklich Bezug genommen. In diesem Sinne ist die Veranstaltung auch verlaufen.

Von den Teilnehmern an der Veranstaltung wurde allerdings der Versuch der Stadt, die Veranstaltung zu unterbinden, einhellig kritisiert. Der Regisseur selber zeigte sich irritiert, dass es in München für die Präsentation seines Filmes erst einer Gerichtsentscheidung bedurfte. Auch ich sehe mit großer Sorge, wie die Verantwortlichen der Stadt in vorauseilendem Gehorsam und zur Vermeidung von Konflikten in zunehmendem Maße mit dem Vorwurf des Antisemitismus durch  Anweisungen und Verboten  in das Veranstaltungsprogramm der städtisch finanzierten Einrichtungen und damit zugleich in die Meinungs- und Kunstfreiheit der Bürger eingreifen. Die Folgen sind Berichterstattungen wie jene in der AZ vom 19.03.2019 von Felix Müller mit der wahrheitswidrigen Behauptung, dass sich das EWH offenbar nicht an die Vorgaben der Stadt gehalten habe. Im Rahmen dieser falschen und bewusst reißerischen Berichterstattung werden nicht nur die Teilnehmer an der Veranstaltung als „linke Antisemiten“ und Unterstützer der BDS-Kampagne diskriminiert, es wird auch in der Öffentlichkeit gezielt der Eindruck erweckt, dass sich antisemitisches Gedankengut in München, in Bayern und in Deutschland immer weiter ausbreiten würde. Durch das städtische Verdikt der Filmvorführung wurde das Gegenteil dessen erreicht, was erreicht werden sollte. Hierdurch wird der Konflikt zwischen Palästina und Israel auch in Deutschland immer weiter emotionalisiert und er gewinnt dadurch eine Bedeutung in der öffentlichen Diskussion, die weit über andere größtenteils viel dramatischere und grausamere Konflikte hinausgeht. Zugleich führt das Vorgehen der Stadt dazu, dass das Vertrauen der Bürger in die Unabhängigkeit und Redlichkeit der öffentlichen Verwaltung schwindet.

Ich habe, sehr geehrter Herr Dr. Küppers, Verständnis dafür, dass die Stadt darauf achtet, dass ihre städtischen Institutionen und auch alle anderen von ihr finanzierten Einrichtungen nicht zur Unterstützung der BDS-Kampagne genutzt werden dürfen. Bei gegebenenfalls erforderlichen Entscheidungen und Vorgaben ist jedoch aus rechtsstaatlichen Gründen stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser Grundsatz wurde im vorliegenden Fall, wie zuvor schon in anderen, den Gasteig betreffenden Fällen verletzt. Wenn die Sorge besteht, dass eine israelkritische Veranstaltung zu antisemitischen Zwecken missbraucht werden könnte, kann dem die Stadt dadurch begegnen, dass sie die Leitung der Einrichtung, in der die Veranstaltung stattfinden soll, dazu verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass die Veranstaltung nicht für antisemitische Ziele missbraucht werden darf. Das kann z.B. durch die Aufnahme einer entsprechenden Klausel in den Mietvertrag mit dem Veranstalter oder/und durch entsprechende Vorgaben des Hausherrn zu Beginn und ggf. während des Laufes der Veranstaltung erfolgen. Dass damit die Interessen der Stadt gewahrt werden können, hat das EWH bei der Filmvorführung am 17.03.2019 in vorbildlicher Weise vorexerziert.

Es ist ein Unding und ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, eine Veranstaltung alleine deshalb zu verbieten, weil als Veranstalterin die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe und namentlich Frau Judith Bernstein auftritt. Das hieße, Frau Bernstein zur persona non grata in allen städtischen bzw. städtisch finanzierten Einrichtungen zu erklären. Was für ein Umgang mit einer Jüdin im Land der Täter, deren Großeltern in Auschwitz ermordet wurden! Da man Frau Bernstein selber wohl nicht des Antisemitismus zeihen kann, wird sie verschiedentlich als „selbsthassende Jüdin“ apostrophiert, eine ebenso abstruse wie ehrverletzende Wortschöpfung. Ich kenne niemanden, der mit der Komplexität der Geschichte Palästinas und Israels und mit den aktuellen Problemen der gesamten Region so vertraut ist, wie Frau Judith Bernstein und ihr Ehemann Dr. Reiner Bernstein, dessen jüngste Publikation „Wie alle Völker.?“ eine scharfsinnige Analyse der Probleme der internationalen Diplomatie mit Israel und Palästina enthält. Auch der Film von Mohammed Alatar macht diese Probleme im Zusammenhang mit dem Mauerbau deutlich, der in einem Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes vom 09. Juli 2004 für völkerrechtswidrig erklärt wurde und dessen Einstellung bzw. Beseitigung daraufhin von der UN-Vollversammlung am 20. Juli 2004 mehrheitlich (150 Ja-Stimmen gegenüber 10 Neinstimmen und 6 Enthaltungen) gefordert wurde.

Ich habe München in der Vergangenheit als eine weltoffene Stadt kennengelernt, in der Gedanken- und Meinungsfreiheit als hohes Gut angesehen und geschützt wurde und Personen nicht öffentlich verunglimpft und an den Pranger gestellt wurden, nur weil sie Meinungen vertreten, die nicht dem Mainstream entsprechen. In der Antisemitismusdiskussion ist Augenmaß und Behutsamkeit gefordert und bei die Meinungsfreiheit einschränkenden Entscheidungen stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Kein Bürger lässt sich gerne zu einem Antisemiten stempeln, nur weil er an einer Veranstaltung teilnimmt, in der Kritisches zu Israel geäußert werden könnte und ggf. tatsächlich auch geäußert wird.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. H. Wurzbacher